Düsseldorf. Ein „Ring“ für die Oper am Rhein: Dietrich Hilsdorf inszeniert „Das Rheingold“ mit Zaubermomenten, Arbeiterschweiß, aber auch mit Leerlauf
„Welkend zum Spott aller Welt, erstirbt der Götter Stamm“. Könnte der Schluss der längsten Oper der Welt sein: „Götterdämmerung“ in Wagners Nibelungenring. Aber dieser Satz fällt schon am Vorabend der Katastrophe, im „Rheingold“. Und wie Nebengott und Berufszündler Loge ihn sich über die Lippen gehen lässt, wie er im Zuhälterfrack des fin de siecle, den Rotweinpokal in der Hand, die Vision vom Untergang der Elite auskostet, haben wir keinen Zweifel: Das ist Dietrich Hilsdorfs Mann.
Die Rheinoper bekommt wieder einen „Ring“. Und Dietrich Hilsdorf, der geeignet scheint, weil er kein blindergebener Wagnerianer ist, inszeniert bis Ende 2018 alle vier Teile als eigene Geschichten. Die vom Raub des Rheingolds geht bei ihm etwa so: Schicksalsconferencier Loge, der noch vor den 136 wortlos-wasserseligen Takten der Eröffnung Feuertricks vorführt, sein Glas füllt und ein bisschen Loreley zitiert, lockt die Stützen der Gesellschaft in sein Etablissement. Im Portfolio hat er alles, worum es seiner Kundschaft geht: Macht, Sex, Reichtum, eventuell gar Liebe.
Manche wie der Aufsteiger Alberich machen hier auf dicke Hose. Andere, wahrscheinlich mit einem Bein in der Pfändung, kommen verschämt bis verhüllt. Wotan ist so einer: kaputte Ehe und eine Immobilienkrise vom Feinsten. Fasolt und Fafner – bei Wagner Riesen, bei Hilsdorf fast sympathische Zimmermänner, die noch im Spielsalon die Stullenbüchse zücken – kommen dazu. Rien ne va plus. Rheinische Unschuld? Die Rheintöchter haben sie bei Dietrich Hilsdorf ganz sicher längst verloren und sind dabei so herrlich geschnürt (und grandios bei Stimme), dass Wotans Frau Fricka sie handfest von den Lümmelpolstern fegt.
Charmanter Ansatz, vielseitig die Hefe beschnuppernd, auf der Wagners Weltenbühne fußt. Aber szenisch vor allem in den ersten 90 Minuten, recht trocken, redundant auch, mitunter übertrieben in den Typen (Alberich), manchmal an der Grenze zum Konventionellen.
Echte Kerle statt Dandys aus Walhal
Doch Hilsdorf, auf dessen Konto im „Rheingold“ durchaus Längen und Löcher gehen, hat zugleich schönste Zaubermomente, lässt auch den abgeklärtesten Wagnerianer Figuren neu sehen. Rüpelriesen entführen Wotans Schwägerin Freia als Pfand für die Bauschulden – reine Grausamkeit. Hier aber, da die Blondine in Rosa von den Göttern ausgelöst wird, gibt sie dem zärtlichen Proleten Fasolt gar ein Küsschen. Der Frau sind echte Kerle lieber als Dandys aus Walhall.
Dieter Richters Einheitsbühne ist die Andeutung einer plüschigen Spielwiese des 19. Jahrhunderts, links eine Treppe für Intrigen, hinten Projektionsfenster fürs doppeldeutige Erzählen. Seinen Coup erfährt dieser Raum mit Varieté-Rahmen in den goldschürfenden Tiefen Nibelheims. In den Raum, der vorher Absinth ausschenkte, brechen Loren ein, schwitzende Arbeiter treiben sie in die Festung der Dekadenz. Da wuchert kein Märchen von hämmernden Zwergen, es zieht ein: nackte realistische Arbeit – von der Art, an der Menschen gestorben sind.
Es gibt Leerlauf, aber zum Ende hin auch viel Packendes. Etwas mehr Mut und Klarheit könnte dieser Ring aushalten. Hilsdorf scheint überrascht von den vielen Buhs zur Premiere. Die musikalische Leistung wird überraschenderweise einheitlich gefeiert, dabei hakt es zwischen Orchestergraben und Bühne hörbar. Dazu werden Düsseldorfs Symphoniker von Axel Kober mit dem Zeigefinger auf Figuren und Motive gestoßen – sehr laut, fast buchstabiert. Aus einem tapferen Ensemble ragen Bogdan Taloş’ Fasolt (bravo!, einbasso cantante) heraus und Michael Kraus’ effektsicher mit dem Wahn spielender Alberich, während Anke Krabbe, Maria Kataeva und Ramona Zaharia als Rheintöchter auf Festspielniveau singen. Bei Simon Neals Wotan mangelt es an Wagner-Deutsch und Ausdauer. Zum Walküren-Wotan dürfte es ein weiter Weg sein. Immerhin glauben wir Hilsdorfs Botschaft über Götter wie diesen verstanden zu haben: Dass die Welt ihr Wille ist, das war bloß eine Vorstellung.