Essen. Erste Regie, letzte Oper. Mozarts „Titus“ am Aalto-Theater Essen bleibt szenischer Versuch. Überragende Momente bieten Orchester und Solisten.
- Erstmals in der Geschichte des Aalto-Theaters Essen stand Mozarts Oper „La clemenca di Tito“ (Titus) auf dem Spielplan
- Musikalisch bietet der Abend starke Momente, etwa Tomáš Netopils Dirigat der ausgezeichneten Essener Philharmoniker
- Szenisch bleibt die Inszenierung in ihrem Flughafen-Szeniario stecken, ohne daraus nennenswerte dramatische Funken zu schlagen
Manchmal reichen sechs Minuten, um sich den Opernbesucher als glücklichen Menschen vorstellen zu dürfen. Samstag Abend, Premiere Aalto-Theater, Theater, Mozarts „Titus“, Auftritt Bettina Ranch: „Parto, parto“ – der junge Sesto, abhängig von der kaltgestellten Ehrgeizlerin Vitellia, bekundet seinen Gehorsam.
Die „Parto“-Arie wird zum Triumph für Bettina Ranch. Sehnsucht, unter Nöten abgerungene Kühnheit, vokales Himmelfahrtskommando aus Liebesblindheit: All das hat Mozart der Hosenrolle des schuldig Schuldlosen in die Kehle komponiert. Und wie selbstverständlich die junge Mezzosopranistin diesen Kosmos der Töne und Emotionen erfasst, die großen Bögen, die zarten Attacken – grandios umspielt vom zweiten Herzen, das in dieser Brust schlägt, von jener Klarinetten-Stimme, die Harald Hendrichs meisterlich erhebt. Jubel brandet auf, großer Jubel.
Frédéric Buhr inszeniert Mozarts „La clemenza di Tito“ am Aalto-Theater Essen
Die Musik – kann man Mozart ein schöneres Kompliment machen? – wird diesen Abend tragen. Einmal mehr zückt Tomáš Netopil für die Neuproduktion von „La clemenza di Tito“ seine Visitenkarte als begnadeter Mozart-Gestalter. Mit Essens unglaublich starken Philharmonikern kultiviert er extreme Akkuratesse, nie trocken, sondern farbig, feingliedrigst, detailsatt. Netopil hat für die schlanke Partitur vitalisierende Schlüssel
Monster und Menschlichkeit zeigt Mozarts letzte Oper, die Regie überzeugt nicht durch große Gefühle
Den Puls einer in Güte endenden Oper über Monster und Menschlichkeit erfühlt er wissend, durchdringt mit dem Orchester souverän die Schichten vom martialischen Triumph bis zur innigen Trauerode.
Frédéric Buhr zeigt mit Mozarts letzter Oper seine erste Regie an Essens Oper. Zu substanziellem Musiktheater fehlt vieles. Groß das visuelle Versprechen, übersichtlich die Ausbeute. Buhrs „Raumkonzept“ ist Thorsten Machts Bühnenbild geworden: der Wartesaal eines Flughafens, Champagnerbar rechts, Aussichtsfenster Richtung Willkomm’ und Abschied eine Treppe höher. Besten Willens möchte man glauben, dass hier also ein Ort definiert ist, Drehkreuz größter Dramatik zu werden.
Aber seltsam prosaisch verhandelt Buhr, was doch Staatsstreich bedeutet. In Mozarts Oper soll Kaiser Titus ermordet werden. Vitellia, um den Aufstieg gebracht, dingt (lockend mit Eheversprechen) Sesto als Feuerteufel. In Essen trägt die Geschichte kaum mehr als Züge einer Mafia-Schmonzette: Titus (darstellerisch begrenzt: Dmitry Ivanchey) ist ein pomadiger Pate, Vitellia (Jessica Muirhead, vokal nah bei romantischen Opern-Heroinen) ein fast klamottig werkelnder Intrigendragoner mit Spitzenkorsett unterm Business-Kostüm.
Bombenknall statt Feuersbrunst: Eine moderne Terror-Tat soll den Kaiser stürzen. Ein Effekt ohne Tragweite
Bodyguards und hektisch rotierende Flugzeiten, coole Lounge-Möbel und ein das Aalto-Parkett erschütternder Bombenknall: Es liegen durchaus Zutaten bereit, vom Tanz ums Kapital zu erzählen statt vom Kapitol. Aber eben diese Größe, jene Zwiste, die Buhr durchaus respektabel an Einzelfiguren durchexerziert, expressiv hochzurechnen, uns aufzuregen, zu bewegen, fehlt dem Abend. Wer die Verzweiflung einer Frau (Vitellia) im Angesicht des Todes übers Ausschütten ihrer Handtasche illustriert, muss sich nicht wundern, wenn der Eindruck flüchtig bleibt wie ein Blick in den fortkullernden Taschenspiegel.
Ein paar Buhs und ein johlender Fanclub Richtung Regie, einhelliger Applaus für Mozarts Anwälte, unter ihnen der superbe Chor und nicht zuletzt Christina Clark (Servilia) und Baurzhan Anderzhanov (Publio), die kleinen Rollen große Momente abgewinnen
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Titus“ im Aalto-Theater Essen, ca. 2:40 Stunden, eine Pause. Nächste Aufführungen im Juni am 7., 9., 11., 22., 24., 28. und 30. sowie am 2. Juli.
Karten für „Titus“ unter
0201-81 22 200. Eintrittspreise zwischen 22 und 49 €.