Berlin. Claus Peymann ist: Sprachhüter, Tobender, Machtmensch, Charmeur. Am Mittwoch wird er 80 Jahre alt. Bochum bot seinen großen Würfen eine Bühne.

Als Claus Peymann (79) kürzlich am Berliner Ensemble ein letztes Mal die Presse antreten ließ, da schienen die Zeichen auf Versöhnung zu stehen: Peymann brachte Blumen aus seinem Garten, Peymann brachte Torte, Peymann verschenkte die fünf Kilo schwere Chronik seiner 18 Intendantenjahre. Dann aber blickte der gut durchblutete Prinzipal in die Runde und erklärte, welcher Art die Menschen seien, die nach ihm kämen. Er nannte sie „intelligent, informiert, sympathisch, gut aussehend und austauschbar“. Und setzte nach einer Pause, wie sie nur der große Theatermacher setzen kann, in die Runde blickend hinzu: „So wie Sie!“

Man hat den Kuchen schon auf der Zunge, da erst spürt man das eingebackene Gift. So hat Claus Peymann irgendwie ja auch Theater gemacht. Immer ein Fest, das hat er selbst so gewollt. Aber anders als bei den flachen Spaß-Artisten nach ihm (nicht zuletzt seine Bochumer Erben Haußmann und Hartmann) gab es auf diesen Festen viel zu beißen. Und wenn Claus Peymann nicht der Erfinder eines Theaterzaubers mit Gehalt ist, dann dürfen wir ihn wohl doch dessen Lordsiegelbewahrer nennen.

Wer diesen Regisseur im Revier lieben lernte, sah am Bochumer Schauspielhaus, dass man bei Peymann selbst im „Nathan“ lächeln durfte. Alles Lehrstück-Geklapper brachte der Bremer zum Schweigen. Unter Palme und Giraffe griff uns Lessing als zeitloses Märchen so verspielt wie zielsicher ans Herz. In Bochum auch sahen wir, wie die Dichterbotschaft verkümmern muss, wenn die Staatsräson zu Sektempfang und Lauschangriff lädt: Nichts von der Vor-Geschichte wurde auf der Bühne laut herauskrakeelt – aber für jeden im Parkett schwang in Goethes Künstlerdrama „Torquato Tasso“ Peymanns Vertreibung aus dem Stuttgarter Theaterparadies mit. Ihn im gutbürgerlich-akademischen Süden loszuwerden, war (vor allem der CDU mit Lothar Späth und dem einstigen NS-Marinerichter und Ministerpräsidenten Filbinger) gelungen. Denn Peymann – alles, aber weder Feigling noch Opportunist – hatte 1977 zu Spenden für eine Zahnbehandlung der in Stuttgart einsitzenden Terroristin Ulrike Meinhof aufgerufen. Das war Anlass der Verjagung, nicht Ursache. Peymanns Theater war dem Establishment unbequem.

Dass Bochum (1979-1986) ihn immerzu ungebrochen liebte, ist darum auch nicht ganz wahr. Ganz schnell will die CDU ihn loswerden: Dass Peymann unbestechlich das Revier als „etwas Zerrissenes“ sieht, will niemand hören. Dieser arrogante Zugereiste wagt doch tatsächlich, die Unruhe, die sein Theater stiften will, „eine Qualität“ zu nennen. Als 1980 von der Bochumer Bühne herunter Helmut Schmidt aufgefordert wird, seine Amerika-Treue zu prüfen, sieht der SPD-Oberstadtdirektor „die Grenze des Zumutbaren“ erreicht.

Immer die besten Schauspieler

Aber es passiert, wie bei Beckett, nichts. Peymann, den Kulturdeutschland plötzlich „Theaterpapst“ nennt, bleibt. Er hat die besten Künstler mitgebracht. Bühnenbildner, die Magier sind wie Karl-Ernst Herrmann. Regiekollegen wie Alfred Kirchner, die schlau auch große Würfe nah am Volk siedeln lassen. Und Bochum schwelgt in Peymanns vielleicht größter Gabe: die besten Schauspieler um sich zu scharen – es sind Traugott Buhre, Edith Heerdegen, Ilse Ritter, Bernhard Minetti, Kirsten Dene, Gert Voss, und, und, und.

Außerdem, was für Politiker das Wichtigste ist, läuft die Bude. „Bei mir hat immer die Kasse gestimmt“, sagt Claus Peymann. Eigentlich heißt er Klaus Eberhard. Doch wie soll man bei dem Namen mit Punkern auf die Barrikaden gehen? 1937 wird er in Bremen geboren. Der Vater, ein Nazi, holt als Turner 1936 Gold in Berlin, er ist Sportlehrer. Sein Sohn wird als zentrales Erbe dieser Herkunft nennen, dass ihm bis an sein Lebensende bitte keiner mit Krieg als Lösung kommen möge. Auch das ein Grund, warum es mit Peter Handke später knirschte.

Ob Stuttgart, Bochum, Wien oder Berlin: Peymann, der wohl gebildetste aller deutschen Regisseure, ist und bleibt gefürchtet. Imposant seine Rhetorik, sein galliger Witz, die So-und-nicht-anders-Selbstverständlichkeit, mit der er Gott und die Welt erklärt – manchmal auch sich selbst als Gott oder -ähnlich. Politiker erklärt er für Idioten. Ganz offen sagt er: „Die meisten Schauspieler sind dumm.“ Er weiß, dass er ein Scheusal sein kann, bei der Arbeit alle Kontrolle verliert („Ich bin ein Vergewaltiger auf der Probe“). Peymann bekennt, es nicht auszuhalten, allein aufzuwachen, was seine Bettnachbarinnen immer auch mal Ensemblemitglieder sein ließ.

An Wiens Burg, die eine uralte Telefonanlage hat, kriegt er in der Dramaturgie mal eine Praktikantin an den Hörer. Erst erkennt sie ihn nicht, dann drückt das Mädchen den falschen Knopf. Peymann bekommt einen seiner berüchtigten Tobsuchtsanfälle und erklärt das Praktikum für beendet. Peymann wird nie erfahren, eventuell heute, dass die Dramaturgen die junge Frau dann zu Ende haben hospitieren lassen. Sie durfte aber nur ins Haus, wenn der Burgtheaterdirektor nicht da war.

Ein Verrückter? Peymann, schubweise mit dem entwaffnendsten Charme gesegnet, erklärt offen, dass seine sichere Idee, wie Theaterkunst funktioniere, natürlich ein Wahn sei. Ohne den Wahn gehe es aber bestimmt nicht.

„Unflätiges Kind und zartbesaiteter Fürst“, beschrieb Gerhard Stadelmaier den Januskopf unter den Theaterkönigen. Als der Autor dieser Zeilen, nicht ohne Herzklopfen, den Regisseur 2015 zum Gespräch traf, war es das reine Geschenk: Peymann, ein heiterer, gelöster Mann. Das inszenierende Weltwissen trug ein Lachen auf den Lippen, klug, enorm unterhaltsam, einfach reizend. War das nur Glück?

Ein Mann als Inszenierung

Was ist wahrer Peymann, was die gleichnamige Inszenierung? Vielleicht gibt es keine Differenz. Solchem fürs Spiel alles aufs Leben setzenden, solchem selbstgekrönten Untertan des Welttheaters, solchem Tyrann mit oder ohne Methode hat Peymanns Leib-Autor Thomas Bernhard ein Denkmal gesetzt. So monumental Traugott Buhre bei der Uraufführung Bernhards „Theatermacher“ prägte, so sehr lag auf der Hand, dass Eitelkeit und Raserei dem Leben abgeschaut waren: Bernhards Theatermacher Bruscon droht alles abzubrechen, wenn die Notbeleuchtung am Schluss seines Stückes brenne. Claus Peymann brachte mit eben dieser Forderung 1972 die Direktion der Salzburger Festspiele zur Weißglut...

Claus Peymann wird 80: Es ist kaum zu glauben. Manchmal wirkt er blutrünstig, dabei kocht er daheim am liebsten Marmelade. Manchmal denkt man an Dandy-Theater (Chauffeur statt Führerschein), dabei fühlt er sich doch wirklich bei den Unterdrückten. Manchmal hält man ihn für passé, dann legt er mit „Macht der Gewohnheit“ (2015) Bestmögliches nach. Peymann schimpft wie ein Rohrspatz, doch niemand kämpft für eine gute Bühnensprache so leidenschaftlich wie er. Je länger man aufzählt, so klarer ist: Er ist der beste Widerspruch, den wir haben. Einer wie er wird nicht nachwachsen. Dazu gratulieren kann man allenfalls: Claus Peymann.