Berlin. . Das neue Album von Kraftklub heißt „Kein Nacht für Niemand“. Ein Gespräch über Rio Reiser, Brit Pop und das Rauchen.
Die Baumhausbar in Berlin-Kreuzberg ist eingeräuchert. Die Chemnitzer Band Kraftklub hat sich hier versammelt, weil ihr drittes Album „Keine Nacht für Niemand“ herauskommt. Und siehe da, höre da: Kraftklub bollert und scheppert nicht mehr nur, es bleibt nun auch viel Platz für spannende Zwischentöne und sogar für Balladen. Obwohl alle fünf da sind, redet Steffen Rüth eigentlich nur mit Sänger Felix Brummer (27). Die anderen? Rauchen.
Herr Brummer, „Keine Nacht für Niemand“ bezieht sich auf „Keine Macht für Niemand“ von Rio Reisers Band Ton Steine Scherben. Warum dieser Titel?
Felix Brummer: Wir fanden es spannend, dass diese Zeile komplett ihre Bedeutung verändert, nämlich vom politischen Statement zum Raver-Motto, wenn man nur einen einzigen Buchstaben austauscht. Dadurch, dass die ganze Platte überbrodelt vor Anspielungen, Zitaten und Querverweisen, wollten wir dieses Prinzip auch in den Titel übernehmen.
War Rio Reiser wichtig für Sie?
Ja, wir können uns kaum tief genug vor ihm verneigen. Er war immer ein riesengroßer Inspirationsquell. Er hat es geschafft, ernsthafte, starke Polit- und Protestsongs und gleichzeitig ergreifende Liebeslieder zu schreiben. Diese Mischung fand ich immer schon spannend. Generell mag ich es, wenn Bands sich nicht festlegen auf „Die Ironischen“, „Die Lustigen“ oder „Die Bösen“. Man sollte sich nicht einschnüren lassen.
Das gilt auch für Sie alle?
Total. Bei den ersten beiden Alben sollte alles ballern und Krach machen. Jetzt haben sich neue Nuancen eingeschlichen. Natürlich gibt es noch Lieder, in denen es richtig abgeht, aber wir haben uns von dem Zwang gelöst, dass jede Sekunde in jedem Song immer aufs Livespielen ausgerichtet sein muss. Jetzt gibt es auch ruhige Songs, die schön sind und bei denen klar ist, dass die Leute nicht ausflippen werden.
Warum haben Sie sich geöffnet?
Weil es höchste Zeit war. Die typische Kraftklub-Art, einen Song aufzubauen und abzuballern, hatten wir zur Genüge durchexerziert. Die Frage war: Wiederholen wir uns oder befreien wir uns? Von Anfang an waren wir uns einig, dass wir mehr probieren und die selbstauferlegte Beschränkung kippen wollten. Den Kraftklub-Sound wird man natürlich trotzdem immer heraushören.
Nummern wie „Sklave“ oder das sehr tanzbare „Liebe zu Dritt“ erinnern an den Brit-Pop aus den Neunzigern. Mit Absicht?
Ja, auf jeden Fall. Brit-Pop ist ein Einfluss, aber nicht der einzige. „Sklave“ besteht aus vielen weiteren Referenzen, das ganze Album ist gewissermaßen ein Füllhorn der Referenzen und Inspirationen. Da sind viele Wegbereiter dabei, die uns in der Jugend geprägt haben oder auch heute noch Vorbild sind.
Wer genau? „Am Ende“ klang zum Beispiel, als würde Sven Regener mitsingen.
Das verraten wir nicht. Viele Wegbegleiter kann man gar nicht heraushören, die singen vielleicht irgendwo im Chor mit. Nur für uns fünf ist wichtig, dass so viele Gastmusiker dabei sind, der Hörer wird den Unterschied gar nicht merken. Wir wollten uns nicht mit den Gästen brüsten, sondern haben halt Leute gefragt, die wir cool finden.
„Lass mich dein Sklave sein/ Ich melde mich zum Dienst und lecke deine Stiefel“ singen Sie in „Sklave“. Stellen Sie sich so das Berufsleben vor?
(lacht): Oder noch schlimmer. Das ist natürlich überspitzt. Aber klar, wir sind jetzt in einem Alter, in dem das private Umfeld nicht mehr nur aus Studenten besteht. Die ersten unserer Freunde haben jetzt richtige Jobs. Auch textlich haben wir uns emanzipiert, und zwar von dieser vermeintlichen Authentizität, die immer über allem schwebt. Also lag der Schritt nahe, aus anderen Sichten zu schreiben, sich in andere Figuren hineinzuversetzen.
Und einen Pro-Drogen-Song wie „Chemie Chemie Ya“ zu schreiben?
Die Nummer spiegelt unser extrem ambivalentes Verhältnis zu Drogen wider. Auf der einen Seite sind Drogen unbestreitbar megacool, auf der anderen Seite leben wir in einer Stadt, in der man unmittelbar mitansehen kann, was Drogen anrichten. Wir wohnen in Chemnitz direkt an der Grenze zu Tschechien, und somit an einer der Haupteinflugschneisen für Crystal Meth. Schon traurig, was man da zu sehen bekommt. Allerdings sind Drogen auch in gehobenen Kreisen allgegenwärtig. Die Leute achten auf ihre nachhaltig hergestellten Schuhe, aber beim Kokain ist es ihnen scheißegal, wo das herkommt.
Was ist eure Droge?
Rauchen! Was harte Drogen angeht, sind wir relativ prüde. Das ist nicht unser Ding.
Es gab einen kleinen Aufschrei über „Du verdammte Hure, das ist dein Lied“, eine Zeile in der Single „Dein Lied“. Kannst Du nachvollziehen, dass sich einige von dem Wort brüskiert fühlen?
Nein. In dem Song geht es um die Figur eines gebrochenen Exfreunds, der das Ende einer Beziehung scheinbar mühelos wegsteckt, dabei kommt er rein gar nicht mit der Trennung zurecht. Das ist politisch nicht korrekt, aber nachfühlbar, jeder kennt doch solche verzweifelten Leute, selbst wenn er behauptet, so ein Wort wie „Hure“ würde er persönlich nie benutzen. Im Zusammenhang mit der sehr weichen Musik wirkt das harte Schimpfwort natürlich noch krasser.
„Slut Shaming“ wurde Ihnen vorgeworfen, also das Verächtlichmachen über eine fremdgehende, sexuell freizügige Frau.
Ich weiß, aber wir sind hier nicht auf einer amerikanischen High School, sondern in der Kunst. Man kann nicht zu jedem Lied einen Beipackzettel dazugeben. Wahrscheinlich wird der Song auch von Arschlöchern gemocht, die sich denken „Endlich sagt es mal einer, dass Ex-Freundinnen dumme Huren sind“. Aber Reibung ist okay. Wer Musik will, die überhaupt nicht missverständlich ist, der muss andere Musik als unsere hören.
Sie sagen im Lied „Leben ruinieren“ ja auch über sich, dass Sie sich selbst nicht mit nach Hause nehmen möchten.
Genau. Der Chauvinistenstammtisch, der unsere Platte kauft, der wird nicht viel Freude an uns haben. Dieser Song erzählt die Geschichte von einem Mann, der sich für viel weniger wert hält als die Frau und mit bewunderndem Blick zu ihr aufschaut.
Welche Sicht ist Ihre persönliche?
Sage ich nicht. Die Authentizität hat in der Popmusik nichts verloren, das wusste bereits Dirk von Lowtzow. Wer totale Ehrlichkeit will, der soll Youtubern zuschauen, die sich eine Webcam ins Zimmer stellen.
An wen ist „Venus“ mit der Zeile „Ich geb‘ keinen Fick auf dich“ adressiert?
Das ist meine persönliche Sicht auf Deutschrap. Einerseits hat der mich extrem beeinflusst, anderseits finde ich vieles, was von dort kommt, unglaublich schrecklich. Das ist also zugleich Antisong und Liebeserklärung.
Ist „Fenster“, indem es vor allem um Fake-News-Verbreiter geht, das am stärksten politische Stück?
Es ist zumindest das Stück, dass sich am eindeutigsten in einen politischen Kontext einordnen lässt. Es gibt auch andere Songs, die man als politisch betrachten könnte, Politik ist ja mehr als nur links, rechts, geradeaus. Es geht auf dem Album viel um dieses ganzen Fitnessstudio-Typen, diese Selbstoptimierer und Noch-eine-Sprache-Lerner und damit um eine Gesellschaft, die Tag und Nacht dabei ist, eine Traumversion von sich zu erreichen und dem eigenen Ideal nachzujagen. Exzess und Laster werden häufig als schlimm empfunden in diesen Kreisen. Diese Haltung lehnen wir total ab.
Ihre ersten zwei Alben waren auf Platz Eins. Hat man da auch als Indie-Band den Druck, nachlegen zu müssen?
Nein, wir sind das Album gelassen angegangen. Bei der zweiten Platte waren wir deutlich unlockerer als bei dieser. Wir haben diesmal lange Urlaub gemacht, und dann haben wir schnell wieder angefangen, Musik zu machen – so wie früher, fünf Kumpels treffen sich im Probenraum.
Wer hat Sie zu der Ballade „Fan von dir“ inspiriert?
Die Figur des Fans als solcher ist jemand, der mich unglaublich fasziniert. Ich finde es interessant, wie erwachsene Menschen, auch in meinem Umfeld, bis zur Selbstaufgabe Fan von etwas sind, zum Beispiel von einem Fußballclub. Mir ist das ein Rätsel. Dieses Bild habe ich kombiniert mit dem Bild des Verlierers, das sich ja durch unser Schaffen zieht. Es kann noch so beschissen laufen für deinen Verein, du kommst nicht davon los, das ist schön und zugleich tottraurig.
Warum fasziniert Sie das so?
Vielleicht weil der Fangedanke der letzte, alle vereinende, konservative Gedanke in unserer Gesellschaft ist. Der Club bleibt der Club, egal, was sonst noch los ist und egal, wie schwer die Zeiten sind.
Ist konservativ sein der größte Schrecken für Sie?
Brummer: Zumindest ist es keine Eigenschaft, die ich mir selbst zuschreiben würde.
Die Farbe des ersten Albums war weiß, die des zweiten war schwarz, jetzt ist rot an der Reihe.
Rot lässt viel Raum für Assoziationen und bildet ein breites emotionales Spektrum ab, von Liebe bis Hass. Aber beim nächsten Album müssen wir uns etwas anderes überlegen. Es sind einfach keine coolen Farben mehr übrig.
Steffen Rüth
Album „Keine Nacht für Niemand“ ab 2.6.