Mülheim/R. Emanzipation bei den Mülheimer Theatertagen: Anne Leppers „Mädchen in Not“ und Clemens Setz’ „Vereinte Nationen“
Wären die Männer doch nur wie Puppen! Nicht ewig tatschende Machos, sondern selbst willige Objekte – so stellt Baby (Anne-Marie Lux) sich ihren idealen Partner vor: „Ab jetzt mache ich, was ich will und ich will mit einer Puppe als Mann nach Italien.“ Mit diesem emanzipatorischen Schlag beginnt Anne Lepper, 1978 in Essen geboren, ihre kritische Satire „Mädchen in Not“. Erniedrigung, Ausbeutung und Gewalt herrschen vor, ob zwischen den Freundinnen Baby und Dolly (Sabine Fürst), zwischen Mann und Frau, Mutter und Tochter. Die Protagonisten tragen riesige Pappköpfe und bewegen sich marionettenartig hölzern, Körper gewordener Zerrspiegel moderner Abhängigkeiten. Dazwischen die gesichtslose „Gesellschaft der Freunde des Verbrechens“, die Sündenböcke suchen und finden.
Mit kalter Wut scheint dieses Drama geschrieben, Wut auf Unterdrücker und Unterdrückte gleichermaßen; am Ende reicht Baby dann die eine Puppe nicht mehr, zwei müssen her!, als wäre sie des Fischers Frau. Die durchaus bilderstarke Inszenierung des Nationaltheaters Mannheim kann über die Kopflastigkeit dieses surrealen „Stücke“-Beitrags doch nicht recht hinwegtragen. Am deutlichsten haften bleibt am Ende der zutiefst grausame Ruf der Mutter, die nur an „die Nachbarn, die Nachbarn“ denkt, wenn die eigene Tochter vergewaltigt wird.
Beinahe wie eine Vorgeschichte derart unterdrückter Weiblichkeit mutet Clemens Setz’ Beitrag „Vereinte Nationen“ an. Der bereits mehrfach preisgekrönte Schriftsteller (*1983), Meister subtiler Grausamkeiten, führt hier die Gesetze der Porno-Industrie und den Hype um Erziehungsfragen zusammen: Ein Elternpaar filmt, wie der Vater die Tochter zurechtweist, und stellt die Beiträge ins Netz. Bald schon werden die „natural“ Szenen ergänzt um Kundenwünsche, die Verkaufszahlen schnellen in die Höhe, die Eltern beruhigen einander: „Aber ich meine, sie hat ja die exakt gleiche Kindheit, oder? Ob mit oder ohne Mitfilmen.“
Auch dieser Beitrag wird auf die Bühne gebracht vom Mannheimer Theater, neben David Müller als Vater ist erneut Anne-Marie Lux als Mutter zu sehen. Doch obwohl Setz das Elternpaar ergänzt um einen Videovermarkter und seine Frau, obwohl er Emanzipationsbestrebungen, Eifersucht und Misstrauen unter den Erwachsenen herbeischreibt, wirkt das Stück statisch. Ist die groteske Ausgangslage, diese wirklich herrlich zynische Idee, einmal begriffen, folgt keine weitere Erkenntnis mehr. Ein Kundenwunsch: mehr Spannungsbogen, bitte!