Recklinghausen. . Die Kunsthalle Recklinghausen blickt auf den „jungen westen“, der vor 70 Jahren gegründet wurde. Und das Revier in die erste Kunst-Liga kickte.

Mit dem „jungen westen“ und seinen Ausstellungen zu den Ruhrfestspielen kickte sich Recklinghausen in den 50er-Jahren in die erste Liga der Kunst-Republik Deutschland: Hier wurden Gemälde von Bild zu Bild abstrakter, hier war der Fortschritt, die Moderne, hier war die Kunst der Technik, dem Neuen gegenüber aufgeschlossen – bis zur Atomenergie.

In Ausstellungen der Kunsthalle Recklinghausen, vom Weltkriegsbunker zum Musentempel umgebaut, umringten die Leinwände und Skulpturen manchmal auch Toaster, Tische und den neusten elektrischen Waschbottich. Kunst war ein Lebensmittel von vielen, nicht von ungefähr wurde die erste Ausstellung der Künstlergruppe „junger westen“ 1947 in der Lebenmittelabteilung des Kaufhauses Althoff eingerichtet – es gab ja nur wenig Lebensmittel und viel Platz.

Dafür wollte sich die Kunst ins wirkliche Leben einmischen, Sinn für gute Form vermitteln. Die jungen Westler entwarfen sogar Tapetenmuster. Es blieb indes die einzige Bauhaus-Anwandlung der Gruppe, zwölf Muster-Zeichnungen hängen jetzt im Treppenaufgang der Kunsthalle Recklinghausen: 100 Gemälde, Grafiken und Skulpturen sowie 50 Fotografien blicken hier zurück auf 70 Jahre „junger westen“.

Vernarbte Asphalt-Fliesen

Dafür gäbe es allerdings auch kein besseres Pflaster als die heute so kunstvoll vernarbten Asphalt-Fliesen der Kunsthalle Recklinghausen, die zum Wohnzimmer dieser Künstlergruppe wurde. Die fünf Maler und der Bildhauer Ernst Hermanns fläzten sich in Segeltuchsesseln, oft eine Zigarette zwischen den Fingern; hier sichteten sie Dutzende von Gemälden für die Jahres- oder Ruhrfestspiel-Ausstellungen. Thomas Grochowiak, einer der ihren, war ja Chef der Kunsthalle, als Nachfolger des großen Franz Große-Perdekamp, der sie zusammengebracht hatte, in der Hoffnung, dass sie sich gegenseitig (unter-)stützen konnten und vorantreiben in ihrer Entwicklung.

Junger Westen? Jung waren die Kunstformen, die Künstler jedoch alle um die 40 und hatten in ihrer Entwicklung in den barbarischen Jahren zwischen 1933 und 1945 mehr als ein Jahrzehnt verloren. Und auch jetzt fiel es im Trümmer-Deutschland nicht leicht, Anschluss zu finden an das, was künstlerisch der letzte Schrei war. Der „junge westen“ debattierte über Sinn und Zweck der Kunst, gern auch mit Publikum, tagelang. Auch davon erzählt die Wand mit Zeitungsausschnitten in der Ausstellung, während ringsum die Entwicklung der Künstler nachzuverfolgen ist. Und eine seltsame Umkehr: Der Zigarrenraucher Gustav Deppe, anfangs der bekannteste Maler unter ihnen, der bei aller Abstraktion bis zuletzt festhalten sollte am Figurativen, am Erkennbaren, ist heute der Unbekannteste. Umgekehrt ist Emil Schumacher, der erkennbar rasch voranschreitet zur totalen Abstraktion: „Ich nehme eine Farbe wie ich in einen Apfel beiße, es kommt zu einer Bewegung des Materials, wobei ich ihm den Willen lasse.“ Heute werden für Schumacher-Gemälde sechsstellige Summen aufgerufen und Hagen hat ihm ein eigenes Museum gewidmet. Bilder von Hans Werdehausen, Heinrich Siepmann, aber auch von K.O. Götz, HAP Grieshaber und Georg Meistermann, die Gäste der Gruppe waren, runden das Bild in dieser Ausstellung, mit der sich Ferdinand Ullrich als langjähriger Leiter der Recklinghäuser Kunsthalle aus dem Amt verabschiedet.