Recklinghausen. . Robert Wilson ist bei den Ruhrfestspielen. Ein Bilderbogen, dahinter Leere. „Der Sandmann“ bietet kaum mehr als Schauwert. Mittwoch war Premiere.

  • Am Mittwoch gab es die erste Theaterpremiere bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen. Robert Wilson inszeniert „Der Sandmann“
  • Die Vorlage von E. T. A. Hoffmann nutzt der US-Regisseur, um nach seinem altbekanntem Muster zu verfahren: schick, kühl, poliert.
  • Die Songs von Anna Calvi finden im Ensemble starke Interpreten, sind an sich aber schwach. Es wurden Ohrenstöpsel ausgegeben.

Selbst die ältesten Besucher der Ruhrfestspiele wissen sich nicht zu erinnern, dass bei der Eröffnungspremiere je Ohrenstöpsel zu haben waren. Das ist die Neuigkeit der Saison! „Der Sandmann“ dagegen ist eine Inszenierung von Robert Wilson. Und man muss über kein besonderes Erinnerungsvermögen verfügen, um all das schon mal gesehen zu haben.

Einen Theaterzauberer haben sie ihn genannt. Die Tragödie des Robert Wilson, 75, ist freilich, dass er sich in seinen Designer-Musicals peinsam wiederholt, sich unentwegt selbst zitiert. Ja, dass er uns längst alle Tricks verraten hat, mit denen er seit nunmehr 30 Jahren sein Showspielhaus unterhält.

Wilsons „Sandmann“ vollzieht sich bei Ruhrfestspielen

Es sind die weißen Kaninchen der Illusion, die in gleißenden Lichtern (blutrot, dämmerblau, himmelgrau) und klug reduzierten Ebenenbühnen noch die schrecklichsten Schrecken posterschick aufhübschen. Es sind die zersägten Jungfrauen der Literatur, mit denen Wilson die Sprache der Form radikal unterjocht – und wenn der Zauberer sich doch einmal für sie interessiert, behandelt er sie in ewigem Kreisen. Auch in Recklinghausen wird mancher Satz zwanzigfach wiederholt. So kriegt man einen Abend auf Zweieinviertelstunden, die Vorlage, E.T.A. Hoffmanns „Sandmann“, hat 40 Seiten.

Das Schauerromänchen ist Wilson-Stoff par excellence. Wie einst im „Black Rider“, der in seiner unerreichten Güte Wilsons Fluch wurde, bricht das Böse ins gestutzte Heckenwerk (Bühne: Robert Wilson) des Bürgerlichen ein, todbringende Schatten (Licht: Robert Wilson) zu werfen aufs Glück des Studenten Nathanael, seiner Verlobten, ihrer Freunde, ihrer Familien. „Der Sandmann“, zunächst nur eine Miniatur übers Augenauskratzen, die Nathanaels Vater an der Bettkante bereithält, findet über ein Doppelgänger-Motiv ins Leben: im Wetterglashändler Coppola und dem Advokaten Coppelius. Andreas Grothgar gibt den Part aus abgrundtief böser Kehle.

Wilson setzt bei der Umsetzung bloß auf Schönheit

Wilson modelliert diesen Angriff der Finsterwelt aufs Geordnete mit spitzen Fingern. Wir kennen Wilsons Animationen, das Kichern und Tänzeln, die Opernparodie, das physische Perpetuum, mit dem er jeden Konflikt unter sein dekoratives Brennglas zwingt. Choreografisch abgezirkelt ist Furcht wie Flirt. Und da die Geschichte Hoffmanns gipfelt im Geschöpf jenes weiblichen Automaten, der Nathanael den Kopf verdreht, haben wir das schönste Gleichnis über diesen optisch bezaubernden, im Innern aber leeren Theaterabend mitten im Festspielhaus: Wilsons Inszenierung, „auf seltsame Weise starr und seelenlos“. Ausgerechnet den zentralen Konflikt des Stoffes – subjektive Wahrnehmung gegen den Primat der Vernunft — lässt er ziemlich links liegen. Vielleicht hat das einfach nicht gepasst in die Rocky Hoffmann Wilson Show.

Die Glanzbild-Attacke auf Hoffmanns nachtschwarz schimmernde Perle tragen gute Schauspieler. Christian Friedels Nathanael ist zwar eine eitle Parade, dank Pop-Röhre aber auch Verführungsgenie, während Lou Strenger und Rosa Enskat den Frauenrollen charmant doppelte Böden schenken.

Band hat Qualität, aber schwaches Niveau der Songs

Bei den Gassenhauern in Wilsons Karriere war Musik stets tragende Säule. Lassen wir die Opern weg, hat den Meister auch hier das Glück verlassen. Mit Tom Waits fing er an, bei Grönemeyer ist er gelandet. Für Wilsons Sandmann schrieb Anna Calvi acht Songs, die (trotz wackliger Technik) eine famose Band begleitet. Die Kompositionen stammen indes aus einem akustischen Gemischtwarenladen, der mal Morricone und Schubert in die Tasche greift, mal Britpop der 80er hämmert und im kitschigen Schlusschoral gar wie die Bee Gees nach Genuss eines kleinen Metal-Joints klingt. Die Nachfrage nach Ohrenstöpseln war gering.

Das Premierenpublikum, darunter leutselige Energieriesen, Rudolf Scharping und Thomas Tuchel, nahm den Abend in der schwer beschreibbaren Art erlöster Begeisterung auf.

>>> Informationen zu den Stücken

E.T.A. Hoffmann: „Der Sandmann“, zu sehen am 5., 6., 8. und 9. Mai bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen. Karten (27 € bis 49,50 €) gibt es unter 02361 - 9 21 80.

Ab 20. Mai läuft Robert Wilsons Inszenierung am Düsseldorfer Schauspielhaus. Dort ist die Produktion auch entstanden