Morgen feiert die Sängerin ihren 75. Geburtstag: eine tiefe Verbeugung vor der Aristokratin des Soul.
Über Aretha Franklin zu reden, heißt vor allem über Respekt zu reden. Nicht den herkömmlichen, jene erfreuliche Geisteshaltung, die würdigt, was Mitmenschen zustandegebracht haben. Sondern den besonderen, der sich in Großbuchstaben und mit Bindestrichen schreibt. Und über den nur sie gebietet. Weil er nur ihr gebührt:
R-E-S-P-E-C-T.
50 Jahre ist es her, dass Aretha Franklin sich das harmlose Lied des großen Otis Redding angeeignet hat: ein etwas selbstgerechter Ehemann jammert nach Besserbehandlung durch seine Frau. Nicht mit Aretha! Sie stellte den Song emanzipiert vom Kopf auf die Füße und machte ihn mit ihrer spirituellen Stimme zu ihrem musikgenetischen Fingerabdruck. Und auf dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King wurde daraus die inoffizielle Nationalhymne im schwarzen Amerika.
Morgen, zum 75. Geburtstag, werden sich Millionen Bewunderer vor der in Memphis geborenen Aristokratin des Soul verbeugen, die gerade mit Stevie Wonder, Jamie Foxx und Enkelin Victorie (17) ein allerletztes Mal ihre Jahrhunderttalente ins Aufnahmestudio trägt. In den sagenumwobenen Fame-Studios in Muscle Shoals im Bundesstaat Alabama legte die Tochter eines Baptistenpredigers 1967 mit „I Never Loved a Man The Way I Loved You“ das zwischen Lust und Erlösungssehnsucht angesiedelte Fundament für eine Karriere, die ihr an die 40 Top-Ten-Hits, 18 Grammys und Tonnen von Bewunderung einbringen sollte. Passend zum Text prügelten sich Studioboss Rick Hall und Franklins Ehemann Nr. 1, Ted White, wie die Kesselflicker.
Barack Obama rührte sie zu Tränen
Zuvor sollte Franklin mit belanglosen Liedchen zum Popsternchen heruntergedimmt werden. Bis Jerry Wexler, Chef des Plattenlabels Atlantic, erkannte, dass man die Klavier-Virtuosin nicht einhegen darf. Nur befreit von kompositorischen Korsetten und überzuckerten Arrangements konnte sich die Naturgewalt entfalten, die noch heute vielen Fluten in die Augen treibt. Barack Obama zum Beispiel. Bei seiner Amtseinführung 2009 sang Aretha Franklin für ihn vor zwei Millionen Menschen. Vor zwei Jahren verdrückte Obama im Kennedy-Center von Washington eine Träne, als die stets unter Lampenfieber, Ess-Störungen und Flugangst leidende Diva ihren Pelzmantel wie einen Kokon abwarf und einen Rohdiamanten veredelte: „You Make Me Feel Like (A Natural Woman)“. Aretha Franklin machte aus dem Stück eine Hymne an die Weiblichkeit.
Vorbild für Alicia Keys & Lauryn Hill
Sich mit jeder Faser einzubringen in einen Song, sinnlich-gedämpft in den Tiefen, ekstatisch und makellos klar in den Höhen, war Franklin von Kindesbeinen an vertraut. Sie sang in der Kirche und in der Gospelshow ihres umtriebigen Vaters. Bekannte Größen wie Ray Charles, Sam Cooke und Mahalia Jackson gingen bei den Franklins ein und aus. Heute ist sie Vorbild. Ob Whitney Houston, Alicia Keys, Chaka Khan, Donna Summer oder Lauryn Hill, sie alle standen oder stehen in den großen Schuhen einer Frau, die ihren Ausnahmestatus bis heute mit sympathischer Selbstverständlichkeit lebt.
Trotz aller Schicksalsschläge. Als junges Mädchen musste sie den Tod der Mutter verkraften. Mit 15 hatte sie selbst bereits zweimal entbunden. Zwei weitere Kinder, zwei Ehen, Liebschaften und der Alkohol kamen dazu. Später erkrankte sie an Krebs. Und besiegte ihn.
Aretha Franklin hat das Feld einer Cover-Königin neu vermessen. Nie klingen ihre Kopien wie Kopien. Immer wurde das Basismaterial (selbst Sinatras „My Way“) erst dekonstruiert, um dann neu zusammengesetzt zu werden. Das beste Beispiel dafür ist vielleicht „I Say a Little Prayer“. Burt Bacharach komponierte die federleichte Musik. Hal David schrieb den Text, dem Kirchen und Kosmetikindustrie auf ewig dankbar sind: „The moment I wake up, before I put on my makeup, I say a little prayer for you.“ Zuerst war der Song im Repertoire von Dionne Warwick. Nett, aber ein bisschen lala. Dann kam Aretha Franklin, zog sich das Lied an wie ein wallendes Chiffonkleid und zog den Reißverschluss zu. Passte wie angegossen. Respekt!