Washington. . Das digitale Kondolenzbuch, das der „St. Louis Dispatch“ auf seiner Internetseite eröffnete, füllte sich im Minutentakt. Viele Zeitungsleser, die sich vor Chuck Berry verbeugen wollten, empfanden so wie Nancy Kusak aus Pittsburgh: „Seine Musik brachte mir wie Millionen anderen Freude. Ich danke dem lieben Gott für ihn und seine unglaubliche Gabe.“ Mit Charles Edward Anderson Berry Sr. ist der letzte Ur-Großvater des Rock abgetreten. Samstagmittag wurden Rettungssanitäter zu seinem Anwesen bei Wentzville gerufen, einem Vorort seiner Heimatstadt St. Louis. Sie konnten den leblosen Berry nicht mehr zurückholen.

Das digitale Kondolenzbuch, das der „St. Louis Dispatch“ auf seiner Internetseite eröffnete, füllte sich im Minutentakt. Viele Zeitungsleser, die sich vor Chuck Berry verbeugen wollten, empfanden so wie Nancy Kusak aus Pittsburgh: „Seine Musik brachte mir wie Millionen anderen Freude. Ich danke dem lieben Gott für ihn und seine unglaubliche Gabe.“ Mit Charles Edward Anderson Berry Sr. ist der letzte Ur-Großvater des Rock abgetreten. Samstagmittag wurden Rettungssanitäter zu seinem Anwesen bei Wentzville gerufen, einem Vorort seiner Heimatstadt St. Louis. Sie konnten den leblosen Berry nicht mehr zurückholen.

Verwurzelt im Blues von T-Bone Walker und Muddy Waters

Er wurde 90 Jahre alt – ein charismatischer Pionier, dessen Wirkmacht schon früh Größen wie den Beatles, den Rolling Stones (vor allem Keith Richards), Bob Dylan, Eric Clapton und Jimi Hendrix Ehrfurcht einflößte und tiefe Verehrung abrang. „Wenn man versuchen würde, dem Rock’n’Roll einen anderen Namen zu geben“, sagte John Lennon einmal, „könnte man ihn Chuck Berry nennen.“ Auch darum zogen gestern Titanen von Bruce Spring­steen bis Mick Jagger ergriffen den Hut. „Er hat unsere Jugend erleuchtet, und Leben in unseren Traum gehaucht, Musiker und Künstler zu werden“, schrieb der Ober-„Stone“, „seine Texte überstrahlten die von anderen und warfen ein eigenes Licht auf den ‚amerikanischen Traum‘. Chuck, deine Musik ist für immer in uns eingraviert.“

Ob „Maybellene“, „Sweet Little Sixteen,“ „Rock and Roll Music“, „Carol“, „My Ding-a-Ling“ oder „Johnny B. Goode“. Wer im großen amerikanischen Songbook nach dem Heiligsten stöbert, stößt immer wieder auf Berrys poetisch-geniale Zweieinhalb-Minuten-Epen. Seine fetzigen „Sonette“ fielen dem am 18. Oktober 1926 als Sohn ei­nes Laienpredigers und einer Lehrerin geborenen Schwarzen in solcher Zahl ein, dass man ihn schon vor 40 Jahren für unsterblich erklärte. Die Nasa schickte 1977 die Sonde Voyager ins Weltall. Um im Falle einer Begegnung mit Außerirdischen den blauen Planeten schnell erklären zu können, ist auf einer goldenen CD auch stilbildendes Liedgut gespeichert. Die Sparte Populärmusik ist durch Chuck Berry vertreten. Einen Mann, der noch bis zu seinem 88. Geburtstag mit weißer Kapitäns-Mütze, rotem Pailettenhemd und Entenwatschelgang, die Gibson ES 335-Gitarre stets eng am Körper, die Bühnen der Welt unsicher und ein Multi-Generationen-Publikum selig machte.

Dass der bis zuletzt gertenschlanke Ehe- und Lebemann (er war fast 70 Jahre mit „Toddy“ verheiratet, Themetta Berry, und hatte diverse Affären) federführend am Soundtrack des 20. Jahrhunderts mitschreiben würde, dass er kühn mit dem ikonenhaften „Mach Platz Beethoven und erzähl Tschaikowsky die Neuigkeiten!“ den Machtanspruch der U- gegenüber der E-Musik formulieren sollte, war ihm nicht in die Wiege gelegt.

Chuck Berry war bereits 30 und Ex-Gelegenheitsarbeiter, Ex-Boxer und Ex-Friseur, als er 1955 seine erste Platte aufnahm: „Maybellene“. Die nach Wimperntusche benannte Ode an dicke Autos und eine fremdgehende Frau katapultierte den Mann mit der Stimme, „die genauso wellig und ölig war wie sein Haar“ (Nik Cohn), zu einem Leitstern des damals gerade entstehenden Planeten Pop.

Chuck Berrys neues Album soll bald auf den Markt kommen. Er kann die im Laufe dieses Jahres ­geplante Taufe seines Spätwerks nur noch von höherer Warte aus verfolgen. Sohn Charles Jr. und Tochter Ingrid, beide lange Jahre in der Begleitband ihres Vaters, sollen das Irdische übernehmen. Vielleicht kann Stephen King sie trösten: „Das bricht mein Herz“, schrieb der Horror-Autor beim Eintreffen der Todesnachricht, „aber 90 Jahre alt, das ist nicht schlecht für Rock’n’Roll. Johnny B. Goode für immer.“