Essen. . Große Kunst, kleines Format: Kurze Detektivgeschichten, die früher eine große Rolle spielten, sind heute selten geworden. Ian Rankin ändert das.

Rebus kennen Sie doch? John Rebus, Detective Inspector in Edinburgh? Dreißig Jahre und 21 Romane lang hat er dort für Recht und Ordnung gesorgt. Na ja, so gut und notdürftig es eben geht. Er gehört zu diesen vielen eigenwilligen, ramponierten, aber niemals aufgebenden Ermittlern mit zerrüttetem Familienleben, Problemen mit den Vorgesetzten, und mit der Musik und dem Alkohol als letzte Stützen. Frustriert ging er 2007 in Pension, kommt aber zurück, so oft sich eine Chance bietet. Und ist über all die Jahre unverwechselbar geblieben mit seiner Mischung aus Härte, Raffinesse und gutem Herzen.

Ganz nebenbei hat er seinen Schöpfer Ian Rankin, mit dem er sich 1987 auf den Karriereweg begab, zu dem gemacht, was der nach Meinung der Londoner „Times“ ist: „Der unübertroffene Meister aller lebenden britischen Krimiautoren“.

776 Seiten, 763 Gramm, ein Taschenbuch

Was ich heute empfehlen möchte ist aber nicht der 22. Roman, der schon fertig sein soll. Es sind vielmehr 776 Seiten und 763 Gramm Taschenbuch mit „allen „Rebus-Stories“, die meisten erstmals übersetzt. Ein Jubiläumsband für sagenhafte 12, 99 €!

Kurze Detektivgeschichten, die zu Zeiten von Sherlock Holmes noch eine große Rolle spielten, sind heute selten, von der pausenlos rotierenden Romanwalze gewissermaßen zerquetscht worden. Wer nun aber in diesem Band zu lesen beginnt, bemerkt sofort, dass Kürze nicht Schlichtheit heißt, sondern dass diese kleinen Texte mit großer Sorgfalt und Kunstfertigkeit gearbeitet sind. Auch in der Malerei kommt es ja nicht in erster Linie auf das Format an.

Ladendiebstahl, Einbrüche, Betrügereien

Worum also geht es in den Rebus-Stories? Um Rebus natürlich, aber öfters auch nur am Rande. Selten um Mordfälle, häufig um Kleinkriminalität: Ladendiebstahl, Einbrüche, Betrügereien, manchmal auch nur um Familienkonflikte. Das erinnert fast an die alten Kalendergeschichten aus dem Lesebuch. Aber gerade dabei können Rebus und Rankin, der Ermittler wie der Erzähler, Qualitäten zeigen, die sich in den Romanen unter dem Vorwärtsdrang der Spannung nicht entfalten können.

Bewundernswert ist die Vielfalt der Tonarten. Es geht ins Komische, wenn Santa Claus im roten Habit das Brillantencollier aus dem Nobelhotel stibitzt und auf der Flucht durch den Winterwald in einem Baum versteckt. Nur dumm, dass der ganze Wald abgeholzt und auf Lkws verladen wird; so muss Rebus sich durch hunderte von Weihnachtsbäumen wühlen, bis er das kostbare Stück findet. Als Zugabe gibt es aber doch noch eine Leiche im Kofferraum. Andere Stücke streifen die Tragik. So bei der jungen Frau, die aus London kommt, im Hotel absteigt, einen passablen Kerl aus der schicken Weinbar abschleppt und ihn beim Liebesspiel auffordert, sie zu würgen – bis er sie, wie von ihr geplant, er-würgt. Sie hat unter einem Gehirntumor im allerletzten Stadium gelitten. Oder wenn wir Rebus durch einen „Sonntag“ begleiten, so zäh und grau, wie er nur im postpuritanischen Großbritannien sein kann. Es passiert seitenlang – nichts, außer dass Rebus – vielleicht – am Abend mal in einer bestimmten Kirche „vorbeischauen“ will. Erst ganz am Ende verstehen wir: Er musste am Tag zuvor – in wohlbegründeter Notwehr – einen Menschen töten.

Der bizarre Joshua-Baum aus der Mojave-Wüste

Auch Erinnerung und Trauer bestimmen hier und da den Ton. Nicht nur Rebus und Rankin feiern ein 30-Jahre-Jubiläum. Vor genau 30 Jahren erschien das legendäre Album „The Joshua Tree“ der irischen Band U2. Dem setzt Rankin in der Story über eine erfolglose Folkrockband ein verstecktes Denkmal, auch wenn der bizarre Joshua-Baum aus der Mojave-Wüste sich in eine uralte schottische Eiche verwandelt. Beide Bäume sind auf den Plattenhüllen, der authentischen und der erfundenen abgebildet, und beide erinnern an einen verstorbenen Musikerfreund.

Wie gesagt also: Große Kunst im ganz kleinen Format. Und einen herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum!

Das Buch

Ian Rankin: Rebus. Alle Inspector-Rebus-Stories. Aus dem Englischen von Giovanni & Ditte Bandi und Conny Lösch,Goldmann Verlag, 766 S., 12,99 €