Bochum. In Bochum bringt Marius von Mayenburg „Romeo und Julia“ als verstörendes Opus der Gewalt auf die Bühne. Eine massive Mauer trennt den Zuschauersaal
Wer „Romeo und Julia“ als romantische Liebesgeschichte in Erinnerung behalten möchte, dem wird die aktuelle Inszenierung des Klassikers am Bochumer Schauspielhaus nicht zupass kommen: Regisseur Marius von Mayenburg (*1972) erzählt Shakespeares Tragödie als Geschichte der Faszination von Liebe und Tod: roh, wild, gewalttätig. Der Abend im Großen Haus ähnelt eher einem Drogentrip als einer Gemütsreise. Und die Kamera hält alles in Echtzeit fest.
Aber der Reihe nach. Die erste Überraschung erlebt das Publikum schon beim Hereinkommen: Eine massive Mauer (Bühne: Stéphane Laimé) trennt die gegnerischen Familien der Capulet und der Montague. Und nicht nur sie. Die weiße Barriere entlang der Rampe teilt das Parkett von der Hinterbühne, wo ebenfalls Zuschauer sitzen. Auf jeder Seite der Mauer herrscht jene andere Sippe, aus deren Feindschaft die Kinder Romeo und Julia mit ihrer allen als verrückt scheinenden Liebe hervorgehen.
Schnell wird klar, dass es aus dem Blickwinkel des Publikums mehr als eine Sicht gibt. Denn was vor der Mauer passiert, sieht man auf der anderen Seite zwar nicht, jedenfalls nicht live als Bühnenspiel. Doch werden die „unsichtbaren“ Szenen von Live-Kameras (Video: Sebastien Dupouey) eingefangen und auf die weiße Mauer projiziert. All die Flackerbilder, Close-Ups und Halbtotalen sind bisweilen anstrengend, Kino im Thea- tersaal, wenn man so will. Aber der Effekt funktioniert, denn das Spiel behält trotz der medialen Filterung große Unmittelbarkeit.
Düsterer Soundtrack
Die Schauspieler agieren, weil sie wegen der Sperrmauer ohne die Tiefe des Bühnenraums auskommen müssen, nah am Zuschauer, so dass alle physischen und seelischen Regungen unmittelbar „auf die 12“ durchschlagen. Tatsächlich muss man des Öfteren die Luft anhalten, denn von Mayenburg orchestriert seinen Tempo-Shakespeare wie ein rabiates Splatter-Movie: Beim Maskenball der Capulets wird in Schüsseln voller Gedärme geaast, Romeo (Torsten Flassig), Mercutio (Jakob Benkhofer) und Benvolio (Nils Kreutinger) sind als räudige, tätowierte Streetgang unterwegs und Julia/Juliet (Sarah Grunert) erscheint wie ein Nachtmahr als kajalschwarzes Gothic-Girl in klobigen Doc Marten’s.
Die Direktheit des Spiels geht bis an die Schock-Grenze, manchmal darüber hinaus. Romeos Mord mit bloßen Händen an Tybalt (Fridolin Sandmeyer) erinnert an die brutale Einstiegsszene in David Lynchs „Wild at Heart“, die Messerstecherei zwischen Mercutio und Tybalt ist wie ein Mix aus „West Side Story“ und „Fight Club“ choreografiert. Der düstere Soundtrack (Musik: Matthias Grübel) gipfelt in einer Black-Sabbath-Hommage, deren optischer Exponent der zwielichtige Lorenzo ist: Michael Schütz spielt ihn als tiefgekühlten Heroin-Papst in Lederhose und mit blauer Brille als satanischen Widergänger von Ozzy Osbourne.
Überhaupt mag einem diese hier zur Schau gestellte Veroneser Gesellschaft wie eine Versammlung von Lemuren aus dem Totenreich vorkommen: fratzenhafte Masken, das uneindeutige Spiel mit Geschlechterrollen (Matthias Redlhammer als matronenhafte Signora Capulet!) – das ist zutiefst verstörend, aber eben auch verstörend gut gemacht.
Flassig als Romeo im „Motörhead“-T-Shirt und Grunert als adrenalin-gesättigte Julia in zerrissener Strumpfhose sind ein Paar wie Pech & Schwefel: Bei der auf die Mauer platzierten, berühmten Balkonszene kommen sich beide maximal distanziert näher. Ihr erstes Treffen beim blutbesudelten Maskenball gerät zum Schnappschuss höchster Intimität inmitten des tosenden Chaos’ der Außenwelt. Ein paar mehr solcher Ruhepunkte hätten dem Abend nicht geschadet. Und ein wenig mehr Shakespear’sche Original-Poesie auch nicht.
Weitere Vorstellungen am 18. und 19. März sowie am 2. April um 19.30 Uhr im Schauspielhaus Bochum, Königsallee 15.
Am Sonntag, 2. April, gibt es um 16.15 Uhr eine Einführung im Foyer des Schauspielhauses.
Karten: 0234 / 33 33 - 55 55.