Gelsenkirchen. . Wagner ist immer ein Wagnis, aber bei „Tristan und Isolde“ wächst Gelsenkirchens Musiktheater über sich hinaus. Der Run auf die Karten ist groß.

  • Gewaltiger Beifall für die Neuinszenierung von Wagners Oper „Tristan und Isolde“ am Musiktheater im Revier.
  • Jubel ernten vor allem die Sänger der Titelrollen, der Tenor Torsten Kerl und die Sopranistin Catherine Foster.
  • Nach 35 Jahren ist damit in Gelsenkirchen erstmals Wagners fünfstündige Meisteroper auf der Bühne zu hören.

Noch kein Takt des „Tristan“ erklungen, aber schon mehr als 5000 Karten verkauft! Was dem „Musiktheater im Revier“ gelingt, dürfte Aalto und Dortmunder Oper derzeit einen neidvollen Seufzer entlocken. Samstag war Premiere, der Jubel gewaltig.

Intendant und Generalmusikdirektor, Jungfrauen in Sachen „Tristan“ beide, erklären das Werk zur Chefsache. Das glückt im Falle der Regie von Michael Schulz noch etwas günstiger als mit Rasmus Baumann am Pult der Neuen Philharmonie Westfalen.

Für „Tristan und Isolde“ zeigt die Neue Philharmonie Wetstfalen viel Ehrgeiz und Ambition

Dabei trifft Baumann hier auf ein Orchester, das eine Tugend daraus macht, nicht unbedingt die klassische Wagner-Adresse der Region zu sein. Die beseelten Celli, die köstlich sanglich agierenden Holzbläser samt Englischhorn, ein imposant souveränes Blech: Wie die Musiker hier ein großes „Wir können das!“ anstimmen, ist Zeugnis von Ambition und Ehrgeiz.

Doch Baumann könnte solch kostbare Energie noch besser zur Blüte bringen. Insgesamt klingt sein Wagner respektabel, aber es fällt einem auch Böhms Mahnen ein, dieses Monster sei als „einziges Crescendo“ zu bändigen. Wagners emotionale Elegien geraten Baumann fast betulich, die großen Ausbrüche dirigiert er dagegen auffallend knallig – in der Gefahr des akustischen Strohfeuerwerks.

Großes Musiktheater in Gelsenkirchen, starke Sänger und eine eindringliche Inszenierung

In den Titelrollen darf die Region ein Ereignis feiern. Torsten Kerls Tristan verrät die gefürchtete Partie keinen Augenblick Richtung Tenorgebrüll. Seine Stimme hat einen dunkel mattierten Bronzeton, und die Kräfte gehen ihm nie aus. Was Kerl im dritten Aufzug noch an Reserven bietet, wie er alles verzweifelte Hoffen des Sterbenden singend erfühlt, ist überragend. Catherine Foster (einst in Essens Aalto- „Ring“ gefeiert) erkundet ihre Isolde als Schwester der Wagner-Geschöpfe Brünnhilde und Senta. Der vokale Furor, mit dem sie (bei kleinen Textproblemen) den ersten Akt regiert, ist überwältigend, aber Michael Schultz’ feine Personenführung belässt ihr auch Ironie und manchen anderen doppelten Seelenboden. Fast fahl ihr Schlussgesang „Mild und leise“. Gestaltungsidee oder doch ein Kräfteproblem?

Gegen solche Wagner-Monolithen müssen tapfere Ensemblesänger erst einmal bestehen, aber Almuth Herbst (eine spielerisch großartige Brangäne) und Urban Malmberg (ein Kurwenal von schlanker Natürlichkeit) halten sich achtbar. Vielleicht liegt es auch an Michael Schultz Sicht auf das Stück, dass Philipp Ens’ etwas rauchig singender König Marke uns noch mehr Randgestalt schien als üblich.

Am „MiR“ ist die Oper keine starre-Konzept-Inszenierung - denn die Regie hört Wagner zu.

Schultz widmet sich ohne lautes Politisieren (wie zuletzt an Dortmunds Oper versucht) extrem dem Werden und Vergehen dieser berühmtesten aller Opernlieben. Wie sehr diese Liebe Unterpfand einer Männerwelt ist, zeigt schon das Eröffnungsbild (Bühne: Kathrin-Susann Brose). Unten, im düsteren Bauch des Schiffes: Die König Marke versprochene Irin Isolde und ihre Magd Brangäne. Oben, an Deck, leuchtet es hell: stramme Matrosen und ein kühl posierender Tristan. Dieser Mörder ihres Verlobten wird bekanntlich der Mann ihres Lebens – und Sterbens. Der schwarze Mast, an dem Tristan lehnt, wird fünf Stunden später wie ein grabsteinerner Obelisk das Zentrum der Bühne bilden.

Es gibt keinen Raum, keine Zeit in Michael Schulz Blick auf Wagners „Tristan und Isolde“

Gelsenkirchens neuer „Tristan“ ist keine starre Konzept-Inszenierung, eher ein Zuhören Richtung Wagner, das Bilder entstehen lässt. Michael Schulz respektiert das Grenzenlose dieser Liebe, verheddert sich nicht in Aktualisierungen. Mag der Beginn noch Wagners Zeit sein, wie die Frauenkostüme Renée Listerdals andeuten, führt die Regie mehr und mehr in eine Welt, deren Emotionen so groß sind, dass Raum und Zeit sich verlieren. Frei also unser Blick auf jene Gefühle, die von Anfang an vor dem Horizont des Endstadiums spielen.

Nur einmal verrutscht Schulz sein schlüssiger Ansatz in Richtung Kitsch: Ein sexy Paar liebt sich (keusch gelsenkirchnerisch in BH und Pants) zeitgleich zum großen Liebesduett im Aquarium – und raubt einer Kernszene der Oper billig den Fokus. War das der Grund für die Handvoll Buhs am Ende? Aber was wäre eine ordentliche Wagner-Premiere ohne sie?

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Tristan und Isolde, Musiktheater im Revier, 5 Stunden, 2 Pausen. Aufführungen: 12., 19., 26. März, 8. April, 7., 13. Mai, 4. Juni. Karten 0209 - 40 97 200

Torsten Kerl und Catherine Foster singen nicht alle Aufführungen. Alternativ sind Gerhard Siegel und Yamina Maamar besetzt. Wer wann singt: www.musiktheater-im-revier.de