Bochum. Es gibt Zusatzkonzerte und große Mengen von neuen Zuschauern: Steven Sloane, Intendant des Musikforums, zieht nach gut vier Monaten Bilanz.

  • Steven Sloane zieht als Chef des Musikforums Ruhr Bilanz: Es gebe ausverkaufte Konzerte, Zusatzveranstaltungen wurden organisiert.
  • Den Erfolg des Neubaus in Bochum sieht er nicht als Strohfeuer, an der Nachhaltigkeit habe er „nicht den geringsten Zweifel“.
  • Sorgen macht sich der in Amerika geborene Dirigent um sein Heimatland unter Donald Trump: „Er ist beratungsresistent“.

„Am Wochenende dirigiere ich Stücke von Duke Ellington. Ist das Hochkultur?“ Steven Sloane weiß, was Menschen über neue Konzerthäuser denken und hat beim Redaktionsbesuch in der Essener WAZ-Zentrale nicht nur sein entwaffnendes Lächeln im Gepäck, sondern gute Nachrichten: Er schwärmt vom „Run“ auf den Neubau amBochumer Marienplatz.

Die Auftakt-Euphorie scheint also nicht verpufft?

Sloane: Im Gegenteil. Schon mit der Eröffnung hat sich ein Traum erfüllt, aber was seitdem passiert, macht uns richtig glücklich. Wir sind so häufig ausverkauft, dass wir Sonderkonzerte ins Programm genommen haben. Das Orchester arbeitet aktuell wie verrückt.

Sind die Besucher Abonnenten?

Nur zu ungefähr 30 Prozent, 70 Prozent kommen über den freien Verkauf. Das ist sehr erfreulich, denn darunter sind viele Leute, die noch nie bei uns, vielleicht noch nie in einem klassischen Konzert waren – jedenfalls wird häufig zwischen den Sätzen geklatscht.

Sloanes Ziel war mit dem Bochumer Musikforum ein Haus „ohne Sockel, ohne Barriere“

Stört das nicht?

Überhaupt nicht. Da kommt neues, neugieriges Publikum in ein Haus, das wir uns ja ohne Hemmschwellen gewünscht haben, nah am Kneipenviertel Bermuda-Dreieck, ohne Sockel, ohne Barrieren.

Und doch gibt es Bochumer, die das Projekt elitär finden. Ist Ihr Haus wirklich in der normalen Bevölkerung angekommen?

Es ist sogar a u s der normalen Bevölkerung gekommen. Allein am Eröffnungswochenende waren über 40 000 Menschen da. Wir haben Raum für Gesangsvereine und Chöre, hier gehen die Musikschüler täglich ein und aus – nein, das Elitäre sehe ich nicht. Das Haus ist da, und es wird angenommen.

In München war Steven Sloane jüngst eingeladen, mit dem Musikforum Ruhr „Das Wunder von Bochum“ zu erklären

Rechnen Sie mit Nachhaltigkeit oder hoffen Sie nur darauf?

An der Nachhaltigkeit habe ich nicht den geringsten Zweifel.

Bei der Eröffnung der Elbphilharmonie sah man auch Hannelore Kraft. Am Tag der Bochumer Eröffnung fehlte sie. Tat das weh?

Ach, nein, es haben ja viele Politiker und Prominente mit uns gefeiert. Wir waren da ganz gut aufgestellt, denke ich.

Apropos Elbphilharmonie: Halten Sie Ihr Haus für ein Schnäppchen?

Sagen wir mal so: Keine fünf Prozent der Kosten der Elbphilharmonie, das ist nicht schlecht… Im Ernst: Ich habe neulich in einer Runde in München, wo ja auch über einen Konzertsaal diskutiert wird, „Das Wunder von Bochum“ vertreten. Wie schafft man das mit einem so knappen Budget? Einer der Hauptunterstützer dort sagte: Wir können unmöglich mehr als 100 Millionen beisteuern.“ Da dachte ich: Ach, gib’ uns drei oder zwei, dann sind wir auch froh...

„Ich bin extrem wach, was die Verwendung öffentlicher Mittel angeht“

Haben Sie sich im Revier an den Umgang mit der Knappheit gewöhnt?

Nach dem Krieg ging es in Deutschland darum, durch Subvention dem Künstler möglichst große Freiheit zu geben. Das ist gut und richtig, braucht aber gleichzeitig Wachheit und Kontrolle, ob und wie das tatsächlich in Kreativität mündet. Ich bin extrem wach, was die Verwendung öffentlicher Mittel angeht. Das ist nicht mein Geld, das ist nicht mein Privatvergnügen. Verantwortungsvoll damit umzugehen, sollte selbstverständlich sein. Natürlich ist das eine Herausforderung, aber wir durften auch erleben, dass man sich selbst bei knappen Budgets hohe künstlerische Ziele setzen kann.

Sie waren eingebunden in die Kulturhauptstadt 2010. Ist der Effekt verpufft, haben sich zu viele erneut auf ihre Kirchtürme begeben?

Tatsächlich habe ich mir da mehr gewünscht. Das Land wäre nach 2010 die Instanz gewesen, das neu zu moderieren. Man hätte den Erfolg, den Elan dieser Zeit viel glücklicher nutzen können, stattdessen haben wir hier im Ruhrgebiet wieder zu kleinteilig gedacht. Das Problem „53 Kommunen. 54 Meinungen“ kennen Sie als Journalisten ja sicher auch auf anderen Gebieten, in denen die Region besser kooperieren könnte.

„All die Jahre habe ich versucht, neutral zu bleiben, bei Trump ist das unmöglich“

Man kann aktuell wohl nicht Amerikaner in Deutschland sein, ohne auf Donald Trump angesprochen zu werden . ..

Ich lebe über 20 Jahre in Bochum und bin schon früher oft eingeladen worden, zu politischen Dingen als Amerikaner etwas zu sagen. All die Jahre habe ich es versucht, neutral zu bleiben – aber das ist jetzt unmöglich, das gelingt mir in diesem Fall nicht. Ich denke in diesen Wochen oft an David Souter. Er war lange am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Vor Jahren wurde er nach der Zukunft der Republik gefragt. Er sagte: Die Gefahr für Amerika kommt nicht von außen – sie kommt von innen, durch „civil ignorance“. Und er hat damals prophezeit, wenn einer kommt, der sagt: „Ich bin ein Außenseiter, vertraut nicht den Medien, vertraut nicht den verkrusteten Berufspolitikern, gebt mir die Macht, ich löse das.“, dann wird er gewählt. Und dann wird’s gefährlich.

Was bedeutet das im Falle Trumps?

Für mich als liberalen Menschen bedeutet das, dass fast 50 Prozent der Amerikaner eingeschränkt informiert sind und zu wenig intellektuelles Verständnis dafür aufbringen, was eine Regierung leisten sollte. Sie verlassen sich auf die einfachen Antworten.

„Meine Sorge ist, dass Trump ernst macht. Er macht erschreckende Ankündigungen““

Was erwarten Sie für die USA?

Wir werden die vier Jahre irgendwie überleben, hoffe ich. Meine Sorge ist, dass Trump ernst macht. Er macht täglich erschreckende Ankündigungen, und er meint sie auch so. Das dürfen wir nicht unterschätzen. Er ist beratungsresistent, er hat unglaubliche Macht und wenn er etwas will, ist er kaum zu stoppen.

Zum Reviermenschen Steven Sloane, amerikanisch-israelisch-deutscher Weltbürger. Von Bochum sprechen Sie wie von einem Zuhause.

Ja, ich würde sagen, ich identifiziere mich mit Bochum, auch wenn ich den Begriff Heimat mit Israel verbinde, obwohl ich in Los Angeles zur Welt gekommen bin. Wo ist das, zu Hause? Wo man eine gute Arbeit hat, gute Freunde, wo man vertraut ist. Das ist Bochum. Das einzige, was mir hier fehlt, ist ein richtiges amerikanisches Diner. Und natürlich abonniere ich hier auch die lokale Tageszeitung, die WAZ.

Das Ruhrgebiet kommt für ihn kulturell direkt nach London und Paris

Und wie sehen Sie sie als Leser?

Manchmal wünsche ich mir in der Zeitung noch mehr Bekenntnis zur Kulturregion Ruhrgebiet. In Europa kommen wir direkt nach London und Paris, fünf Opernhäuser im Radius von 45 Minuten, Theater, zig Museen – es ist einzigartig! Dafür würde ich mir mehr Raum wünschen. Auch im Sinne der Leser, die „durstig“ sind, denen man zeigen muss, was hier Wunderbares los ist. Wenn die Menschen es erfahren, sind sie völlig begeistert.

Das Gespräch fasste Lars von der Gönna zusammen