Herdecke. . Ein Insider packt aus: Rutger Booß (72), ehemals Grafit-Verleger, nennt 111 Gründe, warum Senioren ihre Mitmenschen „in den Wahnsinn treiben“.
Bücher, Bücher, ein Meer aus Büchern und in der Ferne echtes Wasser: Die Wohnung des Ehepaars Booß hoch über dem Harkortsee spiegelt ein Verlegerleben und eine Leidenschaft, die auch nach dem Rückzug von Rutger Booß aus seinem Grafit-Verlag nicht aufhörte. Im Gegenteil. Denn jetzt ist der 72-Jährige nicht nur Ex-Verleger, sondern Autor.
Die Geschichte seines Buchdebüts beginnt wie so viele: auf der Frankfurter Buchmesse. Da stand Booß im Jahr 2015 als Rentner am Stand von Verleger Oliver Schwarzkopf, und hinten im Gang knubbelte sich eine Seniorengruppe: „Ich sagte: Guck dir diese Senioren an, die blockieren den ganzen Betrieb hier. Und dann sah ich da diese Buch-Reihe, „111 Gründe XY zu hassen“ – und alle grinsten und meinten, mach doch!“
Nun wäre „hassen“ ein zu großes Wort. Aber „111 Gründe, warum uns Senioren in den Wahnsinn treiben“, fanden sich schnell: vom launigen „Weil sie nie Zeit haben“ über „Weil sie mehr oder weniger grundlos ärztliche Wartezimmer füllen“ bis hin zum bösen „Weil sie Bremse mit Gaspedal verwechseln“. Von der Fifa als „korruptesten Senioren-Männerclub weltweit“ über die Unbelehrbarkeit einer Erika Steinbach bis hin zum tolldreisten Possenspiel eines Silvio Berlusconi. Vom Brexit-Debakel (das eventuell auch die jungen Nicht-Wähler zu verantworten haben) bis hin zum steigenden Übergewicht der älteren Jahrgänge. Und vergessen wir nicht die Kleidung! Socken in Sandalen und ständig dieses augenquälende Beige, sagt Booß, natürlich mit Augenzwinkern: „Wenn meine Frau nicht Einspruch erheben würde, fände ich Beige auch ganz prima. Und diese Westen mit den vielen Taschen sind doch wirklich praktisch.“ Heute trägt er: einen grünen Pulli, darunter ein bunt geblümtes Hemd.
Die hohe Kunst der Selbstironie macht dieses Buch zum Lesevergnügen, auch ein offener Blick für skurrile Zeitungsmeldungen und Possen, die das betagte Leben so schreibt: Morgens im Herdecker Fitness-Studio, wo die „alten Ladys“ Kaffeeklatsch an den Geräten halten. Mittags im Bonner Bundesrechnungshof, wo die Pensionäre für kleines Geld in der Kantine essen dürfen – „und den Berufstätigen die Plätze wegnehmen, das hat mir meine Nichte erzählt“. So schwingt bei aller Heiterkeit ein ernsthafter Unterton mit, geht es auch um den Einfluss, den ältere Jahrgänge in Politik und Gesellschaft haben: „Senioren gehört die Welt – denken sie jedenfalls.“
Allerdings ist Booß, der Mann mit dem verschmitzten Humor, von hier aus auch schnell bei den vielen lebensjahrreichen Ehrenamtlern, die gute Dienste tun. Und bei der Altersarmut: „Als alter Linker denke ich natürlich, da sind jene in der Pflicht, die mehr haben.“ Was ein altersmilder Satz ist für jemanden, der einst nicht als Gymnasiallehrer arbeiten durfte, weil er als Radikaler mit Berufsverbot belegt wurde. Seinem Lebenslauf hat es wohl genutzt: Als Lektor eines Kölner Verlags kaufte er einst die Rechte an 26 Werken von Ruhrgebiets-Autoren wie Reinhard Junge und Jürgen Pomorin und gründete mit diesem Grundstock den Grafit-Verlag in Dortmund. „Endlich kommen die Ruhrkrimis zurück ins Ruhrgebiet, das war eine Botschaft, die man gerne hörte!“
Auch später setzte er auf markant-ironische Marktschreie, an die er sich noch heute gerne erinnert. Als Spanien Gastland der Buchmesse war, „da haben wir geworben damit, dass es bei uns die schlechteste Sangria der ganzen Messe gibt“ – und jetzt dürfen Sie raten, wer die meisten Lacher und die meisten Besucher hatte?
Ob ihm das Loslassen schwer fällt? Ob er nicht wenigstens Lust hat, sein spannendes Verlegerleben einmal aufzuschreiben? Ach, sagt da Rutger Booß und blättert in seinem Buchdebüt. Kapitel neun, da lästert er feinböse über „Senioren als Memoirenschreiber“ und die „Kunst der Selbstbespiegelung“, die besonders gerne von den „männlichen alten Zauseln“ betrieben würde.
Vielleicht ist es so: Ironie schützt vor so vielem, vor allem davor, sich selbst zu wichtig zu nehmen. Und so erzählt Rutger Booß mit seinem Buch genau das über sich, was er erzählen möchte: Erzählt von einem grundsympathischen, humorvollen Büchermenschen, der auf sich selbst mit ebenso großer Distanz zu blicken vermag wie auf den Harkortsee dort unten in der Frühjahrssonne.
Das Buch „Immer diese Senioren! 111 Gründe, warum sie uns in den Wahnsinn treiben“ von Rutger Booß ist im Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienen (272 S., 9,99 €).