Wien. . Der 100. Todestag des österreichischen Malers und Zeichners Egon Schiele (1890-1918) wirft seine Schatten voraus. Die Wiener Albertina, die über die bedeutendste Sammlung seines Werks verfügt, zeigt bis 18. Juni 160 Zeichnungen und Gouachen des Künstlers, der wenige Tage vor dem Ende des Ersten Weltkriegs im Alter von 28 Jahren an der Spanische Grippe starb.

Der 100. Todestag des österreichischen Malers und Zeichners Egon Schiele (1890-1918) wirft seine Schatten voraus. Die Wiener Albertina, die über die bedeutendste Sammlung seines Werks verfügt, zeigt bis 18. Juni 160 Zeichnungen und Gouachen des Künstlers, der wenige Tage vor dem Ende des Ersten Weltkriegs im Alter von 28 Jahren an der Spanische Grippe starb.

Schiele wird dem österreichischen Expressionismus zugeordnet. Die geschundenen Menschenleiber, verrenkten Gliedmaßen, angsterfüllten oder verzweifelten Gesichter seiner Bilder geben Einblicke in verstörte Seelen, in prekäre Existenzen. Schiele selbst erlebte nach dem Tod seines Vaters den sozialen Abstieg.

Seine Selbstporträts in tausendfachen Abwandlungen scheinen von einer Obsession mit sich selbst zu künden – oder auch nur von der Begeisterung, sich selbst in immer neuen Rollen und Identitäten auszuprobieren. Sein oft explizit erotisches Werk trug ihm gelegentlich die unberechtigte Abstempelung zum „Erotomanen“ oder „Pornographen“ ein.

Die Schau in der Albertina will jedoch Schiele in einem neuen Licht, einer neuen Lesart, präsentieren. „Es geht um Aspekte, die in der bisherigen Forschung eher unterbelichtet blieben“, sagt Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder. Forschungen des Wiener Schiele-Experten Thomas Ambrozy, so Schröder, hätten nachgewiesen, dass Gemälde und Zeichnungen von Schiele, die bislang nicht erklärt werden konnten, von der leidenschaftlichen Verehrung des Künstlers für den charismatischen Glaubenserneuerer Franz von Assisi (1181/82 - 1226) inspiriert gewesen seien. „Im Richtungsstreit um das Armutsideal, um den vollkommenen Verzicht auf irdische Güter und Luxus nahmen die sogenannten Spiritualen um Franz von Assisi eine radikale Position ein“, so Schröder. „Diese Position nahm auch Schiele ein.“

So zeigt die Ausstellung Zeichnungen aus dem Jahr 1913 mit rätselhaften Titel wie „Die Wahrheit wird enthüllt“ oder „Erlösung“. Titel und Motive werden jedoch erklärbar, wenn man die entsprechenden Stellen in jenen Büchern über Franziskus findet, die Schiele offenbar aufmerksam gelesen hat. „Schiele stellt sich einen hohen ethischen Anspruch, und er hat dieses franziskanische Armutsideal gezeichnet“, so Schröder. „Er war ein zeichnender Moralist.“