Essen. Trotz Weltkarriere singt Torsten Kerl, ein Tenor für schwere Partien, den „Tristan“ in seiner Geburtsstadt Gelsenkirchen. Ein Gespräch.

In Gelsenkirchen geboren, auf den Opernbühnen der Welt zu Hause: Torsten Kerl (49) ist ein Tenor für schwere Partien – und Quereinsteiger. Einst spielte er Oboe im Orchester Wuppertal. Privatunterricht öffnete ihm die Tür zur Opernwelt. Heute wird er in Wien, Paris und Bayreuth gefeiert. Für „Tristan und Isolde“ am Musiktheater im Revier (siehe Info-Box) kehrt er zurück. L ars von der Gönna traf Torsten Kerl zum Gespräch.

Sie singen nur an den ersten Häusern, aber nun gastieren Sie als „Tristan“ in Gelsenkirchen?

Kerl:Versuche, wieder einmal in meiner Heimatstadt zu singen, gab es schon länger. Mit dem amtierenden Intendanten Michael Schulz hat es endlich geklappt. Auch wenn ich sonst meistens an viel größeren Häusern wie Met oder Scala singe und vielleicht einige sagen werden: Warum singt der denn jetzt in Gelsenkirchen? Das ist natürlich Quark! Ein Angebot muss mich reizen – und diese Produktion interessiert mich sehr.

Ihr Fach ist rar besetzt. Es sind keine 50 Menschen, die das weltweit können. Juckt es sie, wenn ein junger Kicker wie Draxler mit Millionen beworfen wird? Sind Sänger zu schlecht bezahlt?

Nein, Kinderfußballer sind zu gut bezahlt. Einige erfolgreiche Opernsänger sind nicht schlecht bezahlt. Da muss ‘ne alte Omma immer noch lange für stricken. Aber Fußball oder auch Pop bringen auch Zuschauer-Zahlen und Einnahmen, die die Oper nicht bringt. Oper ist kein Massenphänomen.

Man erlebt Sie handfest, geerdet, nahbar. Zugleich müssen Sie für Ihre Kunst extrem sensibel sein...

Die Robustheit ist ein lästiger Schutz. Man braucht sie, um nicht zu viel an Kritik oder Anfeindung an sich heranzulassen, sonst geht man in diesem Beruf kaputt. Der Kern bleibt für mich: diese Musik zu machen. Das finde ich toll. Da lasse ich auch niemanden dran.

Wie erleben Sie die politische Wertschätzung von Kultur in NRW?

Ich finde es schade, dass Frau Kraft und Frau Löhrmann Oper mit einem Stempel versehen: elitäre Bourgeoisie. Ich sehe ein Anbiedern an den Zeitgeist, das der Region nicht gut tut. Ich hab’ mich schon gefragt, ob mit Frau Löhrmann alles in Ordnung ist, als sie sagte, das kulturell Größte sei Bob Dylan. Wir haben hier eine einmalige Opernlandschaft. Und es sind historisch gesehen Bürger-Opernhäuser – eben nicht elitär hingepflanzt! Daran sieht man leider auch, was für immense Wissenslücken diese Leute haben. Kein Mensch sagt, dass wir ab jetzt nur noch Oper hören. Aber aktuell wird nach Politiker-Geschmack gefördert, er geht auf Kosten der Vielfalt des Ruhrgebietes.

Wie erleben Sie Spar-Nöte in Ihrer alten Heimat? Was denken Sie, wenn Schwimmbäder gegen Theater ausgespielt werden?

Dumm! Wir haben uns in eine Subventions-Diskussion drängen lassen, die ein Thema elegant ausblendet: Am meisten subventioniert sind Politiker. Frau Kraft ist zu 100 Prozent aus Steuergeldern subventioniert. Das ist auch gut so. Aber wenn man in dieser Spardebatte um Kultur mal sieht, wie viele Jobs in der Politik subventioniert werden die bei weitem nicht die Qualität bringen, ist das schon merkwürdig.

Für welche Werte steht Kultur?

Sie zeigt, was den Mensch zum Menschen macht: Das Gegenteil von Egoismus. Das Loslösen von Zwängen. Dass wir mehr können als Geld verdienen und funktionieren. Einen Traum zu haben.

Und Ihr Ideal im Wagner-Gesang?

Dass der Zuschauer nicht merken sollte, wie schwer die Partien zu singen sind. Dass es am Ende klingt wie am Anfang. Für Sänger-Sprinter ist das nichts, man muss schon auf der Marathon-Seite stehen.

Oper kann heute auch oberflächliches Event bedeuten. Wie kann man sich vor Glamour schützen?

Indem man sich zum Beispiel dagegen entscheidet, „Celebrity“-Sänger zu werden. Manche von uns fliegen nur nach München, um auf Roten Teppichen Modedesignern die Hand zu geben oder in Talkrunden aufzutreten. Das ist wahnsinnig zeitintensiv, 80 Tage mehr im Jahr, denke ich.

Kann man also selbst entscheiden, ob man das mitmacht?

Es ist Quatsch, das einem sowas „passiert“. Viele Celebrity-Sänger haben das bis auf die Knochen gewollt. Verglichen mit einem bekannten Popstar ist ein bekannter Opernsänger fast nie berühmt genug, um etwa auf CNN ein Interview mit Larry King zu bekommen. Dafür müssen – wenn überhaupt – PR-Agenturen bezahlt, Sponsoren gefunden werden. Diesen Killefitt wollte ich nie. Ich bin auch nicht der Typ dafür. Es ist oft verlogen, wenn Kollegen sagen: „Huch, ich wollte ja nie bekannt werden, aber plötzlich bin ich ganz berühmt!“

Wo brennt es in der Opernwelt aktuell?

Wir sprechen nicht mehr von Besetzungen, wir sprechen von Castings. Viele Intendanten sind musikalische Laien, die deshalb Soprane nach Dekolletee und Tenöre nach hübschem Gesicht beurteilen. Viel zu oft wird dadurch auf das stimmliche und musikalische Urteil eines Fachmanns, wie z.B. das des General Musik Direktors, nicht gehört. Es geht zu oft nur ums Aussehen. Und dann wundert man sich, dass man auf langer Strecke enttäuscht wird. Ich saß mal bei einem Vorsingen und habe gesagt: „Seid Ihr bescheuert? Da oben steht der neue Capuccilli!“ Aber der Bariton war klein, ein bisschen pummelig und sah eben nicht aus wie ein Latin Lover. Nur deshalb wurde er nicht engagiert! Wir müssen aufhören, aus Oper einen Film zu machen oder ein Musical.