Gelsenkirchen. . Im singenden Klassenzimmer kommt die „Oper aus dem Koffer“. So nah kommen die Künstler des Musiktheaters im Revier ihrem Publikum sonst nie.
Im Koffer stecken Schuhe, eine Riesendose Popcorn und sogar ein ganzes Schloss! Nur der Opa ist nicht drin. Darauf hatte die 3b der Pfefferackerschule in Gelsenkirchen-Buer eine Stunde lang gehofft: „Jetzt kommt der Opa raus!“ Nur war es so an diesem Morgen in der fünften Stunde: Es kam nicht der, es kam die „Oper aus dem Koffer“.
Ein großer Koffer ist das, den das Musiktheater im Revier schon in mehr als 80 Klassenzimmer hievte. „New York“ steht darauf, „Japan“ und auch „Gelsenkirchen“, und tatsächlich ist der weitgereiste Schrankkoffer eine Wundertüte. Da ist Musik drin! Und eine Geschichte. Die erzählt vom armen Jungen Jacob und einem Fisch aus dem Meer, der Wünsche erfüllt, bis das Leben vor Luxus platzt. Und das Fischlein, bunt und prall, nur noch Haut und Gräten ist.
Atemloser Spannung beim Publikum
„Gold“ handelt von Glück und Gier, vom Wünschen und Scheitern, großer Stoff also für eine Bühne – nur ist die bloß ein Klassenraum. Der Fisch aus Gummi, das Meer ein glitzerndes Stück Stoff, das ein Mädchen in der ersten Reihe nach jeder Szene liebevoll richtet. Das Orchester wird vertreten von Sebastian Gokus mit Schlagwerk und blauer Blockflöte, das Ensemble heißt Linda Hergarten: Die junge Sopranistin spielt den Jacob, gibt Mutter und Vater ihre Stimme und auch dem Fisch in seinem Verfall – dass sie dabei singt in den höchsten Tönen, hat das kleine Publikum in atemloser Spannung nicht einmal bewusst bemerkt.
Die „Oper aus dem Koffer“ soll Grundschülern das Theater nahebringen, dichter dran kann man nicht sein. Jacob ist zum Fühlen nah, wenn er nicht ums Vibraphon rennt, das Meer machen die Kinder selbst: Mit ihren Armen tanzen die Wellen, eine mutige Mischung aus La Ola und Ballett. Barfuß sei er, klagt Jacob dem Fisch, der unsichtbar zur Tafel schwimmt, an der gerade heute steht, dass man „Fuß“ mit scharfem S schreiben muss.
Warten auf den Opa
20 Kinder wenden die Köpfe, suchen den Fisch, an der Tür mit dem Notruf der Feuerwehr, in der orangefarbenen Gardine. „Der ist doch nicht echt“, hat eben die Klasse 2 noch geklagt, die 3 ist da geduldiger – und wartet auf den Opa. Sie seufzt erleichtert, als Jacob „Zauberfischschuhe“ kriegt, guckt skeptisch, ob im Koffer auch noch Platz für ein „Traumhaus“ ist, rümpft entrüstet die Nase, als die Wünsche immer unverschämter werden. Und lacht vergnügt über die Enten, die auch nur akustisch da sind, im Schnattern des Schlagzeugers.
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Besorgt schauen die Mädchen, als die Eltern streiten, sie schrumpfen zusammen, als Jacob friert, und weinen fast mit ihm. Johlend begrüßen die Jungen das Flehen nach X-Box und Playstation, hungrig strecken sie die Hände aus nach Popcorn, Pizza und „voll der geilen Bratwurst“; es geht auf die Mittagszeit, sie haben Hunger! Näher kann das Theater seinen Zuschauern nicht kommen.
Musik, Rhythmus, Zauberkraft und Text
Und die Zuschauer nicht den Künstlern: „Die reagieren schon sehr direkt“, sagt Sängerin Hergarten. Auf die Musik, auf den Rhythmus, auf die Zauberkraft, auf den Text. Jedes Kind nimmt sich, was es vom Theater haben will, was es vielleicht auch versteht. Die 3b spricht hinterher über Gefühle: „Die wurden alle ganz traurig, weil sie immer mehr hatten.“ Nur eine gewichtige Frage haben die Schüler noch: „Kann man die Theatertrauben essen?“ Vom Opa ist am Ende keine Rede mehr. Von der Oper allerdings auch nicht.