Castrop-Rauxel. In Ibsens Drama kann es keine Sieger geben. „Nora“ wird in Castrop-Rauxels Westfälischem Landestheater neu, aber zeitlos gedeutet.
- Neuinszenierung von Ibsens „Nora“ am Westfälischen Landestheater wurde vom Publikum begeistert gefeiert
- Die Inszenierung von Markus Knopf verzichtet auf krampfhafte Aktualisierungen oder Feminismus-Akzente
- Ensemble und Inszenierungsteam zeigen im fast leeren Raum ein Theater, das weitgehend überzeugt
Nora (Pia Seiferth) verlässt Mann und Kinder just in dem Moment, da alle widrigen Lebensumstände beseitigt scheinen: Regisseur Markus Knopf weiß, dass sich Veränderungen des Bewusstseins meist quälend langsam vollziehen, oft erst durch die schleichende Summierung kleiner, belanglos erscheinender Ereignisse und Erfahrungen bewirkt werden.
In diesem Drama, das Leben heißt, kann es keine Sieger geben – wohl aber Verlierer wie Noras Ehemann Torvald Hellmer (Maximilian von Ulardt). Wenn er, die Beleuchtung ist längst erloschen, mit erstickender Stimme und voller Selbstmitleid vor sich hinbrabbelt wie ein Kind, dann ist klar: Er hat nichts verstanden, nichts gelernt. Doch nur, wer sich ändert, hat eine Zukunft.
Premiere in Castrop-Rauxel für Henrik Ibsens berühmtes Drama „Nora“
Knopf deutet Ibsens modernen Klassiker nicht unter Emanzipations- oder Feminismus-Aspekten, sondern als Zeit-enthobenes Beziehungsdrama über Dominanz, Liebe, Vertrauen, Enttäuschungen, Selbstbetrug. Manfred Kaderks kluge Ausstattung – eine bis auf einen Christbaum und ein paar Geschenkpakete kahle Parkett-Schräge, die sich hin und wieder für Zugangsschneisen öffnet – stützt diesen Ansatz.
In diesem weitgehend leeren Raum die Geschichte allein im Spiel und ohne Rückendeckung durch hilfreiche Requisiten erzählen zu müssen ist eine Herausforderung, der sich das Ensemble überzeugend stellt. Knopf nimmt sich Zeit, Ibsens Spiegelbilder seelischer Befindlichkeiten behutsam und hochdynamisch zugleich (Einaudis eingespielte Musik „The Taranta Project“ ist überwältigend) zu entwickeln. Ihn interessiert dabei keineswegs nur die Hauptfigur, die zumal im ersten Teil, der Erotik des Geldes erlegen, wahrlich keine Sympathieträgerin ist. Wie wenig geradlinig psychologische Entwicklungen verlaufen, zeigt sich an Noras Freundin Linde (Vesna Buljevic) und Rechtsanwalt Krogstad (Guido Thurk). Wenn beide sich offen über ihre unerfreuliche gemeinsame Vergangenheit aussprechen und neu zusammenfinden, wenn Krogstad sich zur Rücknahme des Briefes entschließt, mit dem er Hellmer wegen Noras Urkundenfälschung erpressen wollte, dann ist das eine der intensivsten Szenen des Abends.
Starker Beifall bei der Premiere von „Nora“ am Westfälischen Landestheater
Zwischen dem Ehepaar sind solch eindringliche Momente rar. Knopf weist Hellmer, wie auch dessen todkrankem Freund Rank (Bülent Özdil), eine oft viel zu laute Ausgelassenheit zu. Diesem im Dauerstadium der Pubertät gefangenen Hellmer nimmt man den Bankdirektor nicht ab. Nora, die das Spiel lange mitgemacht hat, gesteht sich ein: „Ich bin nicht glücklich gewesen, nur lustig.“ Sie hat, wie Linde, wie Krogstad, eine Zukunft.
Starker Beifall für Ensemble und Inszenierungsteam.
„Nora oder Ein Puppenheim“ ist am WLT zu sehen am 12. und 26.2. um 18 Uhr, am 25. und 28.2. um 20 Uhr. Karten: 02305 - 97 80 24