. Skandalös, teuer, umstritten. Damit steht Hamburgs Elbphilharmonie in einer gewissen Tradition. Auch der Eiffelturm gehört dazu.
Gegner sprechen von „Wahnsinn“. „Unnötig“, sagen die Diplomaten, „ungeheuerlich“ die Empörten – und fügen „Alptraum“ hinzu. Dieser Zorn ist jetzt ein bisschen verraucht. Er ist fast auf den Tag genau 130 Jahre alt, und das Ablehnungsvokabular ist ins Deutsche übersetzt. Die Originale waren französisch. Sie stammten von Gegnern des Eiffelturms. Man muss nicht erst eine kitschige Schneekugel am Place Vendôme kaufen, um zu wissen, was aus dem Werk Gustave Eiffels geworden ist. Ein Wahrzeichen, ein historisches Symbol für Fortschritt, für Bereitschaft zum Wagnis, aber auch für Spaß, Schaulust, Besucherströme.
Schönheit und baulicher Wahn fallen nicht nur bei der Elbphilharmonie zusammen
Des Eiffelturms europaweit jüngste Konkurrentin nennen die Hamburger neuerdings „Elphi“, was angesichts einer skandalösen Vorgeschichte überraschend zugeneigt klingt, sich andererseits so überraschend wie naheliegend auf Selfie reimt und vorwegnimmt, was die Elbphilharmonie werden wird: neben Michel und Hafen eine urbane Landmarke.
Man könnte sich wundern darüber. Unzumutbar war das politische wie bauliche Werden – ein Mix aus Überheblichkeit, Inkompetenz und babylonischem Missverstehen. Nun aber ist es wie bei jeder schweren Geburt. Ist das Kind halbwegs geraten, gerät vieles Kreißen ins Vergessen. Nur so ist zu erklären, dass gestern Abend auch Norbert Hackbusch (Linke) der elbphilharmonischen Eröffnungsgala beigewohnt hat. Drei Jahre saß er im Untersuchungsausschuss zu diesem Bau, und „Unverschämtheit“ war sein Lieblingswort. Nun freue er sich, hört man.
Neubau am Kaiserkai ist sicher kein Beispiel für Basisdemokratie
Weniger aus architektonischen Gründen wäre es vermessen, die Cheopspyramide oder Versailles ins Feld zu führen, wenn wir über baulichen Wahn sprechen, der wie ein gutes Trojanisches Pferd jene zeitlose Schönheit in sich trägt, die Zeitgenossen nicht haben sehen können, weil sie zu nah davor standen. Vielmehr reiste man bei diesen Beispielen ja in eine Zeit, da die Ablehnung des Volkes nicht den geringsten Einfluss auf die hochfliegenden Pläne von Herrschern gehabt hätte. Und doch: Wer würde so verlogen sein, den Neubau am Kaiserkai als Stein und Glas gewordene Basisdemokratie zu bezeichnen? Da ist es kein Trost, dass im Hamburger Fall nicht Sklaven und Leibeigene haben sterben müssen, das „ewige Werk“ (Wagner über Walhall) zu vollenden.
Das alte Feindbild des Elitären wurde neu in die Diskusssion geworfen
Es gab nur blutende Steuerzahler, die gewiss nie aufhören sollten, sich zu empören, auch wenn es Felder gibt, die protestwürdiger sein mögen, da sie häufiger und deutlich teurer aufwarten mit Pannen, Verschwendungen, Lügen und zuverlässigem Verschwinden von Verantwortlichen. Aber kommt man weiter, wenn man Eurofighter gegen die „Eroica“ aufrechnet?
Nein. Und das hat mit dem Feindbild Kultur zu tun. Es war, wie immer, das vermeintlich Elitäre, das der Hamburger Ambition so anhing. Das kennen wir, es war davon die Rede 1997 beim Guggenheim-Museum in Bilbao nicht weniger als neulich, da Bochum ein Musikforum erhielt.
Plaza an den Landungsbrücken ist ein Ziel vieler Touristen
Wer auf der Plaza an den Landungsbrücken die Augen öffnet, sieht freilich das Gegenteil. Es ist nämlich gleich, ob im Bauch des staunenswerten Hauses Mozart oder Schostakowitsch tönen: Seine Hülle ist, für Jahrzehnte mindestens, ein „Place to be“, das Selfie mit Elphi werden Bottroper wie Bostoner mit nach Hause nehmen.
Die Elbphilharmonie auf ein Konzerthaus zu reduzieren ist nicht trotz, sondern wegen ihrer sündhaft teuren Konstruktion Unfug. Sie ist eine Image-Kampagne mit Fundament. Als Sidney 1973 sein kühnes Opernhaus bekam, fühlten sich Journalisten berufen, „am Strand eingeschlafene Schildkröten“ auszumachen. 2007 war es Weltkulturerbe. Touristen, die wenigsten von ihnen Opernfreunde, nehmen das Bild der Oper mit nach Hause. Welchem der phallischen Türme, den Energieriesen wie Hochfinanz von Frankfurt bis Essen errichten, ist das gegeben?
Wie stehen wir zur Ausnahme-Architektur?
Was bleibt von einem Jahrhundert, das nicht Maßstab setzend baut? Sieht man Ausnahme-Architektur als Kunst, dann wird zu ihrem Wesen gehören, der Zeit voraus zu sein, Schwund und Schund eingepreist. Ob wir Wut- oder Mutbürger sind, wenn diese Kunst uns maßlos erscheint, kann wegweisend sein – nicht so sehr für die Bauten, sondern dafür, der Nachwelt etwas mehr zu hinterlassen als eine leicht gestiegene globale Durchschnittstemperatur.