Wien/Essen. Eine der bedeutendsten Kulturinstitutionen der Welt kommt ohne Chef aus. Ein Interview mit dem Vorstand der Wiener Philharmoniker.
In Zeiten, da alle Welt nach autoritären Regenten zu rufen scheint, staunt man, wie ein weltberühmtes Orchester traditionsbewusst komplett ohne Chef auskommt: die Wiener Philharmoniker. Ende Januar gastieren sie in Essen. Über Demokratie im Orchester, alte Dirigenten und den besonderen Reiz des Neujahrskonzertes sprach Lars von der Gönna mit Primgeiger und Orchestervorstand Andreas Großbauer.
Sie verzichten auf den großen Boss. Das kann sich keine Firma vorstellen. Warum funktioniert es bei den Wiener Philharmonikern?
Großbauer: Es funktioniert, weil Selbstverwaltung einen großen Zusammenhalt im Orchester schafft. Natürlich ist Basisdemokratie durchaus etwas sehr Anstrengendes. Zugleich ist es der Motor und das Herz des Orchesters, weil wir Entscheidungen eben gemeinsam treffen und tragen.
Die Philharmoniker sind „wirkliche Demokraten“
Nicht immer werden 128 Musiker einer Meinung sein...
Natürlich nicht. Aber das darf ich über alle meine Kollegen sagen: Es sind wirkliche Demokraten, die auch Dinge unterstützen, die sie selbst anders entschieden hätten.
Könnte die aktuelle Politik von einem Orchester lernen?
Ich habe selbst gelernt. Anfangs dachte ich: „In einer Versammlung zählt man nicht, wird nicht gehört.“ Das stimmt nicht. Bei uns werden alle gehört. Das prägt eine Gemeinschaft sehr.
Es braucht keinen Dirigenten, der Musiker klein macht
Sieht man Proben aus alter Zeit, regiert ein anderer Ton. Ist die Zeit der Zuchtmeister am Pult vorbei?
Die Zeit der großen hierarchischen Strukturen ist nicht mehr gewünscht, außer aktuell in der Politik vielleicht. Außerdem will das Orchester ja fast „fanatisch“ gute Musik machen. Da braucht es keinen, der Musiker klein macht. Dankbar sind wir für Dirigenten, die etwas Neues mitbringen, uns Impulse geben.
Sie laden sehr unterschiedliche Dirigenten ein. Sind die Besten automatisch die Besten für Sie?
An erster Stelle muss die Chemie stimmen. Aber Offenheit von beiden Seiten gehört immer dazu. Jeder Dirigent möchte sich von seiner schönsten Seite zeigen. Darum müssen wir ihm Werke ermöglichen, die seine Stärken spiegeln. Mit vielen Maestri verbinden uns Lebensfreundschaften.
„Wir brauchen einen, der unsere Kräfte bündelt“
Was bringt ein sehr alter Dirigent mit? Herbert Blomstedt wird 90...
Die älteren Dirigenten strahlen eine Ruhe aus, eine Sicherheit, eine Selbstverständlichkeit – wenn die in den Saal hereinkommen, klingt das Orchester fast schon so, wie sie sich das vorstellen. Man weiß das, man kennt sich. Mich hört nicht auf zu faszinieren, dass unser Klang von Personen abhängig ist. Auch wir brauchen einen Dirigenten, der unsere Kräfte bündelt und durch dessen Seele sie fließen. Die Großen schaffen das.
Ihr Neujahrskonzert ist die berühmteste Klassik-Veranstaltung der Welt...
Dieses Jahr übertragen wir in über 90 Länder, wir arbeiten an der 100er-Marke, um 50 Millionen Menschen sehen am 1. Januar zu.
Strauß-Musik fesselt wie die Werke Wagners
Was sagen Sie einem knallharten Wagnerianer, der fragt: Wie kann ein Elite-Orchester bloß diese Strauß-Walzer spielen?
(lacht herzhaft): Ich bin Wagner-Fan, aber der Anspruch der Strauß-Dynastie ist ein sehr hoher. Wie Wagners Musik fesselt und berührt sie, zieht auch sie uns in ihren Bann. Das Neujahrskonzert ist keine Show für uns, auch die Proben dazu sind harte Arbeit. Wir nehmen das sehr ernst. Es sind Meisterwerke.
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Am 24. Januar gastieren die Wiener Philharmoniker unter Ingo Metzmacher in Essens Philharmonie. Auf dem Programm Tschaikowskis Violinkonzert mit Joshua Bell und Schostakowitschs Sinfonie Nr. 11.
Karten 0201-8122200
2 x 2 Freikarten verlosen wir. Wählen Sie bis 31.12. 01378 / 78 76 18 (0,50 €/dt. Festnetz, Mobilfunktarif höher).