Essen. . Das Jahr 2016 war für viele Helden der Branche das letzte ihres Lebens. Andere feierten ein Comeback, aber wirkliche neue Superstars gab es nicht.

Mick Jagger (73) lebt. Charlie Watts (75) lebt. Ron Wood (69) lebt. Und Keith Richards (72) lebt eh für immer. Damit sind die Rolling Stones, die vor wenigen Wochen erst das famos-fidele Blues­cover-Album „Blue & Lonesome” veröffentlichten, fast schon Ausnahmeerscheinungen. Denn für nicht wenige große Rock- und Popkünstler war das Jahr 2016 das letzte. Natürlich, gestorben wird immer, aber so geballt wie in den vergangenen zwölf Monaten häuften sich die Verluste wohl noch nie.

Der Rock’n’Roll ist alt geworden. Viele, die in den fünfziger oder sechziger Jahren anfingen, stoßen allmählich in Gefilde vor, in denen sie zum ermäßigten Preis ins Museum dürfen. Erschwerend kommt der mitunter zügellose Lebensstil hinzu, mit dem man alt werden kann (Keith!), aber nicht muss.

Abschied von Legenden wie Bowie und Prince

Bei den meisten standen die Weihnachtsbäume noch im Wohnzimmer, als die Nachricht vom Tod David Bowies (69) für einen Schock sorgte. Leberkrebs. Zwei Tage vorher hatte er sein fantastisches Album „Blackstar“ veröffentlicht, das vielleicht beste des ganzen Jahres, mit Anspielungen auf das baldige Ableben nur so gespickt. Prince starb plötzlich an einer Überdosis starker Schmerzmittel, er war 57, und wieder konnte man es nicht fassen. Hierzulande erschütterte der frühe Tod von Roger Cicero, er starb mit 45. Auch Glenn Frey (Eagles), Keith Emerson und Greg Lake (Emerson, Lake & Palmer), Maurice White (Earth, Wind & Fire), „Wölli“ Rohde (Die Toten Hosen), Peter Behrens (Trio) und Hagen Liebing (Die Ärzte) überlebten das Jahr nicht. Und seit dann auch noch der immer schon morbide und damit ge­gen den Tod irgendwie immun zu scheinende Leonard Cohen mit 82 Jahren verschied (zwei Wochen nach Erscheinen seines großartigen finalen Albums „You Want It Darker“), scheint über dem Jahr endgültig ein Fluch zu liegen.

Auch interessant

Auch bei Phil Collins (65) sah es zwischendurch nicht rosig aus – Rücken, Ohren, Alkohol, Liebeskummer. Doch der in den Achtziger Jahren allgegenwärtige Genesis-Trommler bekam die Kurve. „Not Dead Yet“ („Noch nicht tot“) heißt die Autobiografie, die er schrieb – und die Tournee, die ihn 2017 um die Welt führen wird, sogar mit seiner Ex ist er wieder zusammen. Auch der gleichaltrige, aber zwanzig Jahre jünger aussehende Sting ist zurück, „57th & 9th“ heißt sein gefälliges Poprockwerk.

Beyoncé und Adele hatten alles im Griff

Im Griff hatten das Pop-Jahr aber zwei Frauen, Beyoncé Knowles und Adele. Die stets makellose Beyoncé veröffentlichte im April mal wieder Knall auf Fall ein Album, und zu den anspruchsvollen, hochklassigen Soul-Songs von „Lemonade“ hatte sie auch gleich einen Konzeptfilm in petto. Neben Rassendiskriminierung („Formation“) handelte die Platte fast schon monomanisch vom Lügen, Betrügen, Fremdgehen und Verzeihen. Ob Gatte Jay-Z wirklich so ein Liebesschuft ist?

Adele wiederum führt ihr Privatleben weiterhin geräuschlos, nach ihrem diesjährigen Triumph mit dem Album „25“ wird sie sich bald wohl wieder zurückziehen und mit „31“ zurückkehren. Die Wahl-Pariserin Imany, ein Ex-Model, dominierte derweil mit ihrem lüstern-lasziven Hit „Don’t Be So Shy“ völlig zu Recht einen Sommer, in dem man ansonsten nie wirklich sicher vor ein paar bartschattigen Typen aus dem deutschen Südwesten war. Max Giesinger und Mark Forster beschallten mit ihren Deutschpop-Liedern „80 Millionen“ respektive „Wir sind groß“ die Biergärten und sind auch seitdem nicht klein zu kriegen. Sogar zur Album-Nummer-Eins reichte es bei drei lieben Mittzwanzigern aus Köln, AnnenMayKantereit und ihrem „Alles nix Konkretes“.

Sentimentalen Frühsommerhit von Lukas Graham

Lukas Graham aus Kopenhagen sieht auch sehr brav aus, wenn man mit dem Soul-Burschen aber über seinen sentimentalen Frühsommerhit „7 Years“ (mit dem er jetzt sogar für mehrere Grammys nominiert ist) redet, riecht zumindest die Zigarette süßlich-herb.

Selbsternannter Alien: Udo Lindenberg.
Selbsternannter Alien: Udo Lindenberg. © Axel Heimken / dpa

So richtige neue Superstars hat das Jahr nicht hervorgebracht. Immer deutlicher zeichnet sich jedoch ab, dass The Weeknd aus Toronto, bürgerlich Abel Tesfaye, sowie Ex-Elvis-Imitator Bruno Mars aus Hawaii die Nachfolge von Michael Jackson und Prince unter sich aufteilen. Jüngste Entwicklungen bei Lady Gaga deuten wiederum darauf hin, dass sich die einst so exzentrische Sängerin nicht länger um die Position von Madonna bemüht, dort nistet sich die in diesem Jahr unauffällige Taylor Swift ein.

Die Nervigsten, die Erfolgreichsten

Die Favoriten für den nervigsten Hit des Jahres sind Kerstin Ott („Die immer lacht“) und Andreas Gabalier („Hulapalu“). Und im Rennen um das meistverkaufte Album in Deutschland sind zwei Herrschaften, die man sich spaßeshalber auch mal im Duett vorstellen könnte: Andrea Berg, die mit ihrem „Seelenbeben“ einen Kauf-Tsunami auslöste, und Udo Lindenberg, der sich mit „Stärker als die Zeit“ zum letzten musikalischen Lagerfeuer der Deutschen mauserte. Auf Udo können sich alle einigen. Dass er seinen 70. Geburtstag im Mai lebend und bei joggingbedingt sehr guter Gesundheit erreicht hat, war auch nicht immer zu erwarten. Aber: „Jetzt will ich 100 werden“, verkündet Udo frohgemut. Und: „Eigentlich ist das Alter total egal. Ich bin ein Alien, der nur zur Durchreise auf der Erde weilt.“