Essen. . Simplify your Weihnachten: Bestsellerautor und Pfarrer Werner Tiki Küstenmacher rät, das Fest zu entrümpeln. Warum, erklärt er im Interview.

Früher war mehr Lametta, heißt es. Aber vielleicht ist weniger Lametta sogar besser? Weniger Erwartungen, weniger Stress, mehr Zeit und Liebe: Das wünschen sich viele zum Fest. Werner Tiki Küstenmacher, Pfarrer und Autor des Bestsellers „Simplify your life“, verrät im Gespräch mit Britta Heidemann, wie Adventszeit und Weihnachtsfest einfach schön werden.

Herr Küstenmacher, wie feiern Sie Weihnachten? Schaffen Sie es, das ganz entspannt anzugehen?

Werner Tiki Küstenmacher: Ich weiß nicht, ob ich Weihnachten jemals entspannt war – noch nicht einmal als Kind. Ich bin jetzt 63, habe also rund 60 Weihnachtsfeste bewusst erlebt. Damit Weihnachten ein wunderbares, freudiges Fest wird, braucht es Vorbereitung, und die kann anstrengend sein. Aber ich finde es schade, wenn die Leute diesen strapaziösen Aspekt so betonen. Lasst uns die Weihnachtsfreude wiederfinden!

Und wie soll das gehen?

Küstenmacher: Wir müssen unsere Erwartungen dämpfen. Wir sind eben keine Tiroler Bergbauern, die im Winter keine Feldarbeit machen können, sondern hinterm Ofen sitzen und sich Geschichten erzählen, Figuren schnitzen und Plätzchen backen. Aber ausgerechnet dieses Bergidyll haben wir uns als Weihnachtsvorbild ausgesucht! Jetzt, in diesen Tagen, sollte man eine Familienkonferenz machen und überlegen: Was soll Weihnachten passieren? Was hat im vergangenen Jahr genervt, was war schön? Häufig stellt sich heraus, dass die Erwartungen an­ein­ander vorbeigehen: Die Mutter denkt, es muss ein tolles Festessen geben – aber die Kinder finden das gar nicht so wichtig. Oder die Verwandten wären auch froh, wenn das große Familienfest auf den Sommer verschoben würde. Unser ältester Sohn wird zum Beispiel Weihnachten nicht zu uns kommen. Er lebt in Australien und es wäre Blödsinn, in dieser Jahreszeit für teures Geld ins deutsche Schmuddelwetter zu reisen.

Werner Tiki Küstenmacher
Werner Tiki Küstenmacher © imago

Weihnachten ist aber das Fest der Einfachheit: eine Krippe mit Stroh, ein Kind, in Windeln gewickelt . . .

Küstenmacher: Ja, aber dazu kommen ganz viele Traditionen obendrauf. Unser Weihnachtsmann ist eine Mischung aus dem Heiligen Nikolaus und heidnischen Traditionen aus Skandinavien, von dort stammt etwa der fliegende Schlitten. Ein großer Mischmasch. Vor allem die Tradition der Geschenke hat inzwischen einen hohen Eigenwert.

Wie können wir zum Sinn des Gebens zurückfinden?

Küstenmacher: Ich rate dazu, Anschaffungen und Geschenke zu trennen. Wenn die Kinder ein neues Fahrrad brauchen, eine neue Sportausrüstung, dann sehe ich das als Ausstattung mit dem Notwendigen für ihre Freizeitgestaltung. Ein Geschenk ist für mich eher etwas Kleines, Symbolisches, dem man anmerkt: Hier hat sich jemand etwas überlegt.

Was denken Sie über den Satz: „Wir schenken uns nichts“?

Küstenmacher: Im vorletzten Jahr hat unsere Tochter darauf bestanden. Doch hinterher haben alle gefunden: Das war Mist. Sich für andere etwas zu überlegen – das ist ein liebevoller Stress. Der hat uns gefehlt. Wir standen alle mit leeren Händen da und haben uns unwohl gefühlt.

Wie urteilen Sie über die Weihnachtschristen?

Küstenmacher: Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass wenigstens zu Weihnachten die Kirche voll ist. Zum Teil sind die Pfarrer selbst schuld; es gibt nicht mehr viele Predigten, die ich mir gerne anhöre. Man müsste auch Gottesdienste entrümpeln: einfach Zeit, Musik, Stille. Es muss nicht ständig getextet werden. Schön fände ich, wenn es an jedem Sonntag in jeder Großstadt einen Gottesdienst ohne Predigt gäbe. Ganz minimalistisch, mit ein paar Liedern, Gebeten, Bibeltexten. Ein Simplify-Gottesdienst, das wäre mein Wunsch zu Weihnachten!

Das spirituelle Bedürfnis nach Einfachheit macht sich in vielen Bereichen bemerkbar, ob wir nun meditieren oder uns vegan ernähren.

Küstenmacher: Gerade das Thema Essen ist Religion geworden und hat etwas Bekenntnishaftes bekommen. Das ist wirklich anstrengend. Nehmen wir diese moderne Steinzeitkost, die auf eine sehr künstliche Weise einfach ist. Das erinnert mich an Gandhis Spinnrad: Er selbst hat Witze darüber gemacht, was für ein riesiger Aufwand für seine Mitarbeiter es ist, dass sein Spinnrad in alle Welt mitreist – nur, damit er dann da sitzt, Wolle spinnt und Einfachheit demonstriert.

Was tun Sie, um im Advent zur Ruhe zu kommen?

Küstenmacher: Mein wichtigster Rat an mich selbst lautet: Ortswechsel. Ich gehe raus ins Freie oder in eine Kapelle. Zeit und Raum gehören auf geheimnisvolle Weise zusammen. Neulich war ich auf einem Weihnachtsmarkt in einer Kleinstadt, rund um die Kirche, mit Glühwein, Bratwurst, Verkaufsbuden. Dann ging ich in diese Kirche und war komplett verzaubert, wie still es dort war. Das war wunderschön.

>>> Der Autor und sein Buch

Der Bestseller „Simplify your life“ gibt Tipps, wie das Leben selbst in die Hand zu nehmen wäre: vom Entrümpeln über Finanzfragen bis hin zur Beziehungspflege. Weltweit verkaufte sich das Buch seit 2001 über 4 Millionen Mal. Soeben erschien die überarbeitete Auflage (Campus, 388 S., 22 €) die vor allem die Möglichkeiten der Geldanlage neu bewertet, auf Sharing Economy und E-Mail-Management eingeht.

  • Von Haus aus ist Küstenmacher, 1953 in München geboren, evangelischer Pfarrer. Er hat drei Kinder (33, 30, 18) und lebt mit seiner Familie in Gröbenzell.