Duisburg. . An jedem Sammelstück hängt eine Geschichte. Jetzt wandert das große Archiv von Ruhrgebiets-Musik von Duisburg in den deutschen Süden.

Bis an die Decke vollgestopft mit LPs, Musik- und Video-Kassetten, mit Aktenordnern, CDs, Fotos, Plakaten, Flugblättern und Briefen ist das Zechenhäuschen in der Homberger Rheinpreußen-Siedlung. Seit den 80er-Jahren wohnt und arbeitet Frank Baier hier. Seine einzigartige Ruhrgebietsliedgut-Sammlung enthält unzählige „Kulturdokumente ersten Ranges“, sagt Michael Fischer, Direktor des Zentrums für populäre Kunst und Musik (ZPKM) an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, wie das 1914 gegründete deutsche Volksliedarchiv mittlerweile heißt. Dorthin wandert Baiers Archiv.

In Frank Baiers Sammlung findet man Lieder der Bergleute, die bei geselligen Anlässen gesungen wurden, ebenso wie Lieder von Stahlarbeiterstreiks. Zeitungsartikel, Fotos und Briefe erinnern an Ausein­andersetzungen um den Erhalt ehemaliger Zechensiedlungen, an Konzerte in Gefängnissen mit Liedern, die durch den Austausch mit inhaftierten Jugendlichen entstanden sind, oder an Auftritte mit Wolf Biermann, Hannes Wader und Rio Reiser.

Besondere Zeitdokumente

Ein besonderes Zeitdokument ist die 1978 erschienene Langspielplatte „Bauer Maas – Lieder gegen Atomenergie“, aus deren Einnahmen der Landwirt Josef Maas einen großen Teil der Prozesskosten ge­gen den Bau des „Schnellen Brüters“ in Kalkar bestreiten konnte, zwei Jahre vor Gründung der späteren Umweltpartei „Die Grünen“. Zu den Musikern, die kostenlos Titel für die Platte zur Verfügung stellten, gehörten neben Frank Baier seinerzeit auch die österreichische Band „Die Schmetterlinge“ und Walter Mossmann.

1981 erschien ein ähnliches LP-Projekt: „Schöner Wohnen aber Fix“ enthielt neben Titeln von Frank Baier auch Lieder von „Geier Sturzflug“, die ein Jahr später mit „Wir steigern das Bruttosozialprodukt“ einen Nummer-eins-Hit hatten und zur Schaumkrone der „Neuen Deutschen Welle“ gehörten. Auch aus den Verkaufserlösen dieses Albums wurden Prozesse finanziert, es ging um den Erhalt von billigem, sozialverträglichem Wohnraum.

„Bruckhausenwalzer“

Um bessere Lebensbedingungen in Duisburg und gegen Umweltverschmutzung kämpfte Frank Baier mit der „Bürgerinitiave Bruckhausen“. Auch türkische Einwanderer der ersten Generationen wollten damals nicht mehr „vorm Abendbrot den Sand mit Besen und Kehrblech vom Tisch fegen“, wie es im Bruckhausenwalzer heißt. Mitte der 80er-Jahre veröffentliche Baier eine deutsch-türkische LP mit dem türkischen Sänger Mesut Cobancaoglu.

Das sind nur einige der zahllosen Liedgeschichten in Frank Baiers Archiv – Zeugnisse einer Jahrzehnte währenden engen Verknüpfung von Kultur und politischem Engagement, die von Laien und Profis, Arbeitern und Hausfrauen, Schülern und Lehrern gelebt wurde.

Archiv in Freiburg freut sich

Volkslied-Archivchef Michael Fischer, der die 500 Kilometer von Freiburg nach Duisburg und die Arbeit an einem freien Wochenende gern auf sich genommen hat, war sichtlich beeindruckt und glücklich, eine solche Sammlung nach Freiburg holen zu können – nun ist sie Studenten, Wissenschaftlern und Musikern aus der ganzen Welt zur Erforschung zugänglich.

Gesucht werden dazu weitere Sammlungen von Volksmusikanten und der Folkszene in Ost- und Westdeutschland, vom politischen Lied bis zum Schlager. Die Räume des Archivs in Freiburg werden gerade erweitert, um das Material aufnehmen zu können.