Keith Jarrett gastierte mit seinem Trio im Rahmen des Klavier-Festivals in der Essener Philharmonie.Ovationen für einen Ausnahmemusiker, der seinen Jazz ganz introvertiert gestaltet
Essen. Es knisterte spürbar. Man war nervös. Denn Keith Jarrett gastierte mit seinem Trio in der Essener Philharmonie. Im italienischen Perugia hatte sich der legendäre Jazzpianist vor wenigen Tagen wegen der vielen Fotohandys zur Publikumsbeschimpfung hinreißen lassen. Franz Xaver Ohnesorg bat als Intendant des Klavier-Festivals Ruhr das Essener Auditorium schon im Programmheft um eine hustfreie Zone, ließ Stofftaschentücher verteilen und sprach besänftigend zu den Gästen.
Bodyguards an den Türen. Im Publikum der Barde Marius Müller-Westernhagen und der Dirigent Dennis Russell Davies. Das Licht wird gedimmt, der extrem schlanke Keith Jarrett betritt mit seinem Bassisten Gary Peacock und mit seinem Drummer Jack DeJohnette die Essener Bühne. Großer Jubel. Und dann ist es wirklich in dieser so viel verhusteten Philharmonie endlich einmal still. Still. Still. Ein Labsal im Konzertsaal. Alfred Brendel hätte seine Freude.
Das erste Stück als Begrüßung: Cole Porters "All of You". Eine pointiert ausgefüllte Hoffnung gleich nach der Pause: "Someday My Prince Will Come", 1936 von Frank E. Churchill für Walt Disneys "Schneewittchen" geschrieben und von Miles Davis in die Unsterblichkeit geführt. Keith Jarrett ist natürlich nicht mehr der Prinz des Jazzpianos, er ist längst ein König. Aber das Versprechen, uns zu besuchen, hat er eingelöst, dieser Weltstar, der seine Karriere wegen schwerer Krankheit - man sagt: ein chronisches Erschöpfungsleiden - unterbrach und das Klavierspiel quasi wieder von vorn beginnen musste.
Der Abend bestätigt vor allem: Diese drei Musiker, die seit gut 25 Jahren vertraut miteinander sind, spielen sich mit traumwandlerischer Sicherheit durch die verschiedenen Standards. Man improvisiert so sicher und prägnant über das Material, dass man fast meint, diese Musik sei völlig auskomponiert. Die Vorlagen gewinnen ein neues Leben, machen sich auf zu Klangabenteuern, die sich meist im Bereich des versöhnlichen, sanften Sounds bewegen und nur ab und an auch schräge Ecken und Kanten haben. Das ist alt vertraut, aber dennoch nicht routiniert abgestanden und fast durchweg inspirierend und inspiriert.
Paul Desmonds "Late Lament", Thelonious Monks "Straight No Chaser", Leonard Bernsteins "Somewhere" oder, als Eigengewächs, die Trio-Improvisation - man ist tief mit diesen, sagen wir mal, Evergreens verbunden. Da wird das Schlagzeug bei Jack DeJohnette nicht nur zum Impulsgeber, sondern auch zum Farbspender, wobei besonders der Einsatz der Becken bemerkenswert nuanciert ist. Da setzt der Bass von Gary Peacock auch sehr elegante und dann wieder rhythmisch vertrackte Akzente.
Und Keith Jarrett, der uns einst mit seinem "Köln Con-cert" - lang, lang ist es her - verzauberte, sitzt mit dem Rücken zum Großteil des Publikums, wendet sich auch nicht um, wenn der Applaus nach den einzelnen Stück aufbrandet. Das wirkt scheu. Am Flügel ist er wieder der Alte: Er berherrscht dieses Instrument wie ein "klassischer" Pianist und hat sich ja in der Tat auch intensiv mit Johann Sebastian Bach beschäftigt.
Er spielt bemerkenswert pedalarm und somit glasklar, spielt oft im Stehen, gibt immer noch seltsame Laute von sich, stürzt sich in gebrochene Akkorde, in viel Rankenwerk - und ist dann plötzlich ganz versunken in den eigenen Klang, der nach wie vor süchtig machen kann. Das ist sein Markenzeichen: der satte runde Ton, der einschmeichelnde Sound, ein fast postimpressionistisches Ausspinnen. Das ist Schönheit pur.
Zum Schluss dann Jubel ohne Ende im schon ewig lange ausverkauften Haus - und, weil wir alle brav waren und nicht knipsten und husteten, zwei Zugaben: "When I Fall In Love" und, herrlich impulsiv, "Poinciana". Das war's.