Beim Besuch in seiner Heimatstadt Danzig bedankt er sich für den Rückhalt nach seinem Geständnis.Aber seine Autobiografie enthält noch anderen, bisher unentdeckten Zündstoff

Danzig. Das passt zu Grass. Nicht in der noblen Limousine lässt er sich durch Danzig kutschieren, sondern im schnöden VW-Bus. Einem Gefährt, in dem Handwerker ihre Gerätschaften transportieren. Das macht Eindruck in Polen, wo die Mächtigen und Einflussreichen viel Wert auf die Statussymbole mit abgedunkelten Scheiben legen. Dieser auffällig unauffällige Bus signalisiert: Seht her, ich bin einer von euch.

Doch auch in Danzig sucht Grass nicht die Nähe zum Volk, das übertrieben freundliche Händeschütteln überlässt er Politikern und anderen Populisten. Wo der weinrote Bus parkt, bildet sich zwar schnell eine Menschentraube, doch bei den zahlreichen Auftritten des Meisters in der Öffentlichkeit klafft zwischen ihm und den Menschen eine kleine, unüberbrückbare Distanz. Sie ensteht aus ehrfürchtigem Respekt und offenbar grenzenloser Bewunderung.

Grass gibt sich überraschend locker, das stets etwas mürrische Gesicht heitert sich oft zu einem Lächeln auf. Der Mann, zu dessen 80. Geburtstag eine Art vorgezogenes Grass-Festival stattfindet, scheint anzuerkennen, dass er sich "unter Freunden" bewegt. Ein Satz, den der Schriftsteller bei vielen Gelegenheiten wiederholt. Und mit einer anderen Bemerkung schmeichelt er seinen Gastgebern: "Ich bin dankbar für die Unterstützung, die ich in der schweren Zeit aus meiner Geburtsstadt Danzig erfahren habe."

Die "schwere Zeit", das war das vergangene Jahr, als Günter Grass preisgab, dass er Mitglied der Waffen-SS war. Natürlich war auch in Polen der Aufschrei groß. In Danzig, wo Günter Grass am 16. Oktober geboren wurde, wollten ihm einige sogar die Ehrenbürgerwürde aberkennen. Es kam zu einem Briefwechsel mit dem Danziger Bürgermeister Pawel Adamowicz, und dabei habe er wahre Toleranz erfahren, erwähnt der Autor wie nebenbei.

Allein dieser Seitenhieb auf seine Kritiker in Deutschland zeigt, dass es in Grass rumort. Dass die Schuld, die im Laufe der Jahrzehnte, wie er sagt, zur lastenden Scham wurde, tief in ihm nicht getilgt ist. In diesem Sinne gilt auch für ihn, dass das Reden über das lange Unausgesprochene wie eine Therapie wirken kann.

Immer wieder begibt sich der Autor in Gesprächen, ohne danach gefragt zu sein, auf die Reise ins Jahr 1945. "Das Jahr, als ich 17 Jahre alt war und fest an die deutsche Sache glaubte", lautet dann sein standardisierter Einleitungssatz. Das erklärt diesen Teil der Lebensgeschichte als jugendliche Torheit, doch die Antwort auf die Frage, weshalb er so lange geschwiegen hat, bleibt die angeschlagene moralische Instanz schuldig.

Die deutsche Diskussion interessiert die Gastgeber in Danzig allerdings wenig. Sie haben die Entschuldigung akzeptiert, die Schande ist für sie damit gesühnt. "Für uns bleibt Günter Grass der Mann, der Danzig in die Weltliteratur eingeführt hat", sagt Adamowicz. Ein Satz, den der Angesprochene mild lächelnd zur Kenntnis nimmt.

Nur einmal wird der Gewürdigte unangenehm an die Vorkommnisse 1945 erinnert. Vor dem historischen Gebäude der Polnischen Post in der Innenstadt versammelt sich ein Grüppchen Lokalpolitiker der katholisch-nationalen Partei "Recht und Gerechtigkeit". Die Mitglieder der Regierungspartei der Gebrüder Kaczynski haben die Feiern boykottiert, jetzt machen sie mit anti-deutschen Sprüchen auf sich aufmerksam.

Diese Aktion wurde von den ausländischen Touristen fotografiert, den polnischen Passanten ignoriert und von den meisten unter der Kategorie Wahlkampf für die Parlamentswahl am 21. Oktober verbucht. Stadtpräsident Pawel Adamowicz, der Grass nach Danzig eingeladen hatte, gehört zur Oppositionspartei "Bürgerplattform".

Allerdings droht dem deutschen Nobelpreisträger in Polen noch anderes Ungemach. In seiner Autobiografie "Beim Häuten der Zwiebel" hat er eine zweite Lunte gelegt. Das Buch, das in Deutschland für so viel Wirbel gesorgt hat, ist zum 80. Geburtstag auf Polnisch erschienen. Ein Kritiker hat das Werk genau gelesen und fand im vorletzten Kapitel eine ehrabschneidende Beleidigung des Papstes Johannes Paul II., der in Polen schon jetzt wie ein Heiliger verehrt wird. Grass prangert das Sterben des Kirchenoberhauptes als widerliche, ungehörige und schamlose Zurschaustellung an. Gut möglich, dass Günter Grass auch in Polen das Lächeln bald schwerer fallen wird.