Der jetzt mit 94 Jahren gestorbene intellektuelle Regisseur Michelangelo Antonioni sezierte in seinen Filmbildern das Lebensgefühl moderner Menschen. "Blow up" wurde zum Kultfilm einer ganzen Generation

Essen. Nach Ingmar Bergman hat die Welt des Films mit Michelangelo Antonioni nun einen zweiten großen Regisseur verloren, dessen elementare Themen ebenfalls Einsamkeit und Entfremdung waren. Der Italiener Antonioni starb mit 94 Jahren in Rom.

"Ihre Gemälde sind wie meine Filme; sie handeln von nichts . . . mit Präzision", sagte der italienische Regisseur einmal kokettierend zu dem amerikanischen Maler Mark Rothko. Dessen weltberühmte Bilder bestehen aus großen Farbflächen, sind völlig abstrakt und entfalten eine magische Sogwirkung - wenn man sich auf sie einlässt.

Damit sind sie tatsächlich vielen Antonioni-Filmen vergleichbar (kein Wunder, war der Regisseur und studierte Ökonom doch auch ein passionierter Maler). Selbst sein berühmtester Film "Blow up" erzählt nur vordergründig eine Kriminal-Geschichte. Letztlich löst sich die Handlung jedoch im Nichts auf, stellt sich die Frage: war alles nur Schein? "Blow up" heißt Vergrößerung. In diesem Fall ist das bis zur Grobkörnigkeit vergrößerte Foto gemeint, auf dem der Londoner Modefotograf Thomas (David Hemmings) einen Mord festgehalten zu haben glaubt. Wie bei Rothko sieht aber auch der Betrachter dieses bis zur Abstraktion vergrößerten Fotomotivs nur das, was er zu sehen meint.

Weil "Blow up" mit hippen Mädchen (u. a. Top-Model Veruschka Gräfin Lehndorff und Jane Birkin), Modefotograf und Vanessa Redgrave als mysteriöser Schöner im Swinging London der 60er Jahre spielte, wurde er zum Kultfilm einer Generation. Eben auch, weil er ein Lebensgefühl beschreibt: Während die Wirtschaft prosperiert, wirkt der moderne Mensch haltlos in seiner Wahrnehmung, seinen Werten und Gefühlen.

Den Ausbruchsversuch aus diesem Kreislauf inszenierte Antonioni in "Zabriskie Point": Student Mark, in Verdacht, einen Polizisten getötet zu haben, flieht in die zivilisationsferne Wüste des Death Valley. Dort trifft er Aussteigerin Daria. Doch die Affäre der beiden (das Liebesspiel am Zabriskie Point, einem mythischen Ort der Indianer, zur Musik von Pink Floyd galt als sehr freizügig) endet in Tod und Zerstörung. Als eine wütende Absage an den amerikanischen (Alb-)Traum montierte Antonioni in "Zabriskie Point" die Szenen von der Explosion einer Traumvilla in Zeitlupe in immer neuen Perspektiven. Antonioni bezeichnete sich denn auch als "marxistischer Intellektueller".

Ein Intellektueller, der die Gefühle sezierte in Filmen wie "Chronik einer Liebe" (1950) oder "Die Nacht" (1961), jenem hoch gelobten Film mit Jeanne Moreau und Marcello Mastroianni über das traurige Ende einer Großstadt-Liebe.

Traurig war auch Antonionis Gesundheitszustand in den letzten Jahren. Seit einem Schlaganfall 1984 war er halbseitig gelähmt und konnte nicht mehr sprechen. Dennoch schrieb und malte er weiter und drehte mit Hilfe von Assistenten Werbespots. Beim Episodenfilm "Jenseits der Wolken" half Wim Wenders dem alten Mann bei der Regie. Auch den Oscar für sein Gesamtwerk konnte Antonioni 1995 in Empfang nehmen.