London. Eine Begegnung mit John Waters, dem einstigen „Enfant terrible” des amerikanischen Films. Dass seine Schöpfung „Hairspray” für die Musical-Fassung ein Happy End spendiert bekam, stört ihn nicht weiter

Der schmale Mann mit dem noch schmaleren Oberlippenbärtchen, der da in einem gut gekühlten Raum eines Hotels im Londoner Westend sitzt, galt mal als das „Enfant terrible” des amerikanischen Films schlechthin. John Waters (63) hat vor allem in den 1970er-Jahren nahezu jedes Tabu mit seinen kleinen, schmutzigen Filmen gebrochen, die in Mitternachtsvorstellungen rasch Kultstatus erlangten. Der Begriff „Trash” (Müll) scheint eigens für Produktionen wie „Multiple Maniacs”, „Female Trouble” oder „Desperate Living” erfunden worden zu sein. Unvergessen noch immer jene Szene aus „Pink Flamingos”, in der der Transvestit Divine einem Hund zunächst beim Koten zuschaut, die Exkremente danach aufliest und verspeist. Wohlgemerkt: Nichts wird dabei durch einen Schnitt verfälscht.

Inzwischen scheint Waters seine wilden Jahre hinter sich zu haben. Nach London ist er gereist, weil auch hier mittlerweile das Musical „Hairspray” Triumphe feiert, das auf einem Waters-Film von 1988 beruht. John Waters und Musical, das hätte man früher als unvereinbaren Gegensatz gewertet. Aber schon im Kino war „Hairspray” der erkennbare Versuch, der Trash-Sackgasse zu entkommen und im Mainstream Fuß zu fassen. Waters' vorheriger Film „Polyester” lag da immerhin schon sieben Jahre zurück und zeichnete sich durch eklige Gerüche aus, die vom Publikum per Rubbelkarte erzeugt werden mussten.

„Hairspray” gab sich zwar immer noch Amerika-kritisch, die elektrisierende Musik der 1960er-Jahre aber fegte das alles beiseite. Es geht um die mollige Tracy Turnblad aus Baltimore, der Heimat des Regisseurs und Schauplatz fast aller seiner Filme. In der lokalen Musikshow von Corny Collins (Waters liebt die Alliteration) möchte sie in der Zeit der Turmfrisuren unbedingt den Titel der „Miss Teenage Hairspray” erringen. Waters nimmt das zum Anlass, den einstigen Kulturkampf auf dem Popmarkt aufzuzeigen – hier die fetzige Sweet-Soul-Music der Schwarzen, dort die braven weißen Pop-Balladen von Pat Boone oder Connie Francis. Und dass ein rundliches Pummelchen schließlich gegen die Idealmaße weißer Barbie-Püppchen gewinnt, ist so recht nach Waters' Herzen.

Das Musical giert nach solchen Stoffen

Das Musical neuer Prägung, das so gern in düsteren Klassikerstoffen opernhaft dahindümpelt, giert nach solchen Stoffen, die wahres Entertainment versprechen. Für Waters hätte es nicht besser kommen können. „So viel Geld, wie mit diesem Stoff, habe ich mein ganzes Leben noch nicht verdient”, gibt er zu. „Es hat mir zu einem Appartement in San Francisco verholfen.” Da beschwert man sich natürlich nicht, wenn, anders als im Film, am Ende jeder sich mit jedem versöhnt. „Mein Finale ist zwar realistischer”, erklärt Waters, aber das Musical habe nun mal eigene Gesetze.

Immerhin hat man noch immer eine Ratte im Stück und eine sadistische Gefängniswärterin, die mit verzücktem Gesicht ihre eigenen Popel verspeist. Die Rolle von Tracys Mutter, das ist vertraglich vereinbart, muss immer von einem Mann dargestellt werden – auch wenn das Stück am 6. Dezember Deutschlandpremiere in Köln hat. Es ist eine Hommage an den verstorbenen Divine, Waters' Muse über viele Jahre, für den die Edna Turnblad die letzte Rolle war.

Ein Ärgernis für die Moralhüter des Landes

Seinen bisher letzten Film „A Dirty Shame” hat John Waters 2004 gedreht, die Geschichte einer konservativen Hausfrau, die durch einen Unfall zur Sexbesessenen wird. Das war mit seinen gewagten Szenen fast schon wieder ein Ärgernis für die Moralhüter des Landes. Aber für Waters kein Grund, angestrengt an einen weiteren Film zu denken. „Es gibt keine Tabus mehr zu brechen”, erklärt er ein wenig resigniert, „nur Kinderpornografie oder Tötungsfilme. Woran ich nun wirklich nicht interessiert bin.”

Inzwischen macht die Fotografie einen Großteil seines Lebens aus, er gestaltet Ausstellungen und hat seine Arbeiten auch schon in Buchform herausgebracht. Nachdem er seine Biografie bereits verfasst hat, schreibt er derzeit an einem Buch („Role Models”), in dem er seine Erinnerungen an Menschen ausbreitet, die für ihn wichtig waren. Der Sänger Johnny Mathis etwa, der Modedesigner Rei Kawakupa und Tennessee Williams. Aber auch Zorro, eine lesbische Stripperin aus L. A. oder Leslie Van Houten, eine aus der Gruppe um den Satanisten Charles Manson, für deren Begnadigung Waters sich eingesetzt hat.

Seinen größten Triumph erlebt der einstige Hohepriester des schlechten Geschmacks derzeit auf dem DVD-Markt. Nach dem Niedergang von New Line vertreibt nun Warner Bros. die alten Waters-Filme fürs Heimkino. „Kann man sich das vorstellen: Warner Bros. und Pink Flamingos. Unglaublich.” Und grinst dabei ganz unverschämt.

Das Musical

Die Musik zu „Hairspray” schrieb der als Filmkomponist bekannt gewordene Marc Shaiman. Gemeinsam mit Scott Wittman ist er auch für die Songtexte verantwortlich. Das Musical erlebte seine Uraufführung 2002 am Broadway und erhielt acht „Tony”-Awards, darunter die Auszeichnung als „Best Musical”. Seitdem sind insgesamt 23 weitere internationale Theater-Trophäen hinzugekommen. Die deutsche Erstaufführung im Kölner Musical Dome ist für den 6. Dezember terminiert, Previews gibt es bereits ab dem 19. November. Die Mutterrolle der Edna Turnblad spielt Uwe Ochsenknecht, die Tracy verkörpert Maite Kelly.