Essen.

Essen. Die SK Stiftung Köln zeigt Fotografien von Man Ray aus der exquisiten Sammlung Gruber: "Jahre einer Freundschaft 1956 bis 1976".

Man Ray: Solarisation, 1931. (c) Man Ray Trust, Paris/VG-Bild-Kunst, Bonn 2008
Man Ray: Solarisation, 1931. (c) Man Ray Trust, Paris/VG-Bild-Kunst, Bonn 2008

// Man traut seinen Augen nicht, wobei die doppelte Optik ebenso den Gegenstand der Ausstellung wie deren Ermöglicher betrifft. Wie, fragt sich der Besucher, hat L. Fritz Gruber bloß all diese Inkunabeln von Man Ray erworben, dessen Bilder sich hier im Einzelnen in ihrem Entwicklungsprozess nachvollziehen lassen? Was für ein weitsichtiger Kennerblick – und was für ein Genie der Freundschaft, neben allem anderen, wie der Hochherzigkeit des Foto-Enthusiasten und -Propagandisten, um seine vielfältigen Tätigkeiten auf einen Nenner zu bringen. Aber man darf es nicht auf der summarischen Verkürzung beruhen lassen. In Wahrheit war der 1908 in Köln geborene Doyen der deutschen Fotografie-Szene etliches mehr: Journalist, Verleger, Schriftsteller, Sammler, Organisator (»Machenschaftler« nannte er es), Aktivist, Augenmensch, Lebenskünstler – und in 46 Jahren glücklich verheiratet mit Renate Gruber, mit der er bis zu seinem Tod im März 2005 auch in Kompetenz, gemeinsamem Interesse und der Entscheidung über die Zukunft ihrer beider Kollektion einig war. Sie ist nach wie vor eifrige Hüterin seines Erbes.

In den Räumen der SK Stiftung Köln hängen an die 200 Arbeiten von Man Ray. Ergänzt um Leihgaben aus dem Museum Abteiberg, dem Folkwang Museum und zwei Portfolios aus den Staatlichen Museen Berlin, stammt das Konvolut aus der imposanten Sammlung Gruber, die dieser dem Museum Ludwig zu kleineren Teilen verkauft und in großem Maße seit 1972 peu à peu geschenkt hat. In dem Institut bilden sie das Herzstück der »Photosammlung«. Auf die Frage, ob ihm die Hergabe der Tausenden von Abzügen keinen Trennungsschmerz verursache, scherzte Gruber in späten Jahren: »Es ist wie mit einer Tochter, die sich verheiratet und die in der Stadt bleibt. Man kann sich sehen, aber sie kostet kein Geld mehr.«

Die Dankbarkeit der Stadt Köln gegenüber ihrem Gönner findet nun Ausdruck in der Benennung eines Platzes mit seinem Namen, an der Herzogstraße/Brückenstraße am neuen Kolumba-Museum gelegen.

Gruber, der von seiner Kollektion sagte, sie habe sich »ereignet«, der kein einziges digitales Foto erwarb und dem es suspekt war, dass »Fotos zu Aktien« wurden, hat nicht auf Auktionen, sondern von den Fotografen selbst gekauft. Gewissermaßen »Kontakt-Abzüge«, die seinen persönlichen Beziehungen entsprachen. Hatte Man Ray ihn wieder einmal großzügig bedacht, bedankte sich Gruber schon mal mit einem Objektiv, dessen Besorgung der Künstler sich erbeten hatte. Ein vergoldetes Uhrarmband, wie es Man Ray nach Eigenentwurf auch selbst trug, wurde wiederum für den deutschen Freund gefertigt und ist noch heute in Besitz von Renate Gruber.

Für den 18 Jahre älteren Man Ray hatte Gruber sich früh begeistert – zur selben Zeit wie für die gegensätzlichen nüchternen Dokumentaristen Albert Renger-Patsch und Erich Salomon. Zur Freundschaft kam es dann in den fünfziger Jahren, wie sich anhand der in Vitrinen ausgebreiteten Korrespondenz, der Publikationen Grubers über Man Ray und Bildern gemeinsamer Auftritte, zum Beispiel während der Photokina 1960 (es war die erste, von Gruber initiierte Man Ray-Präsentation in Deutschland nach dem Krieg) oder Ausstellungen in Berlin und Venedig ablesen lässt. Man hatte sich einst in der Buchhandlung La Hune auf dem Boulevard St. Germain getroffen, und jede weitere Begegnung habe auf Gruber wie eine »Verjüngungs«-Kür gewirkt. Zum 70. Geburtstag schrieb er über Man Ray in der Welt eine Hommage, in der es u.a. heißt: »Er müsste eigentlich völlig verrückt aussehen und ähnelt doch jetzt eher einem gemütlichen französischen Rentner.«

Renate Gruber hat auch ihre Gemälde von Man Ray, eines davon dessen Hochzeitsgeschenk, zur Verfügung gestellt, ebenso wie Teile ihrer Man Ray-Bibliothek mit Widmungsexemplaren, etwa dem malerischen »Alphabet for Adults« für die Gruber-Tochter, so dass der Titel kurzerhand von Man Ray vom »Erwachsensein« ins Kindliche umgeschrieben wurde.

Die Ausstellung vereint einige der schönsten Arbeiten und Schlüsselwerke des 1890 in Philadelphia als Emmanuel Rudnitzky, Sohn russisch-jüdischer Eltern, geborenen Künstlers. Natürlich die luziden weiblichen Akte, darunter die berühmte, x-fach reproduzierte »Solarisation« von 1931. Dank eines Kontaktabzugs lässt sich erkennen, dass es sich ursprünglich um die Studie eines liegenden Körpers handelte, deren Ausschnitt der Fotograf dann gedreht und so erst den Eindruck der schlafenden Schönen mit ihren den Kopf umfassenden Armen erreicht hat.

Schräg gegenüber hängt die Epoche machende »Violon d’Ingres« von 1924, jener durch seinen Turban orientalisch dekorierte Rückenakt mit den einbelichteten und nachgetuschten verschnörkelten f-Schall-Löchern, der die Erotik von Frau und Streichinstrument semantisch zusammenführt. Das Modell Kiki de Montparnasse gehört in die lange Liste seiner Musen, wie auch Berenice Abbott und Meret Oppenheim. Dass Man Ray zudem auch Blumen, Distel oder Lilie, zu künstlich sexueller Blüte trieb, wird nicht nur Robert Mapplethorpe stimuliert haben, sondern ebenfalls Helmut Newton oder David Bailey.

Ähnlich sexuell konnotierte Korrespondenz ergibt sich zwischen den zwei samtigen Hälften des auf einem Blatt gebetteten Pfirsichs und dem daneben hängenden weiblichen Torso, auf dessen mattierter, wie phosphoreszierender Hautfläche sich die Brusterhebung und der Bauchnabel quasi topografisch abzeichnen, wobei der Nabel wie der Spalt eines Mundes wirkt und damit eine Schamgrenze markiert, die die Surrealisten verrückt und überwunden haben. Um 1920 hatten Marcel Duchamp und Dada-Man Ray, die sich 1915 in New York kennen lernten, das Kunstgeschöpf Rose Selavy erfunden, deren Name sich wortspielhaft aus »Eros c’est la vie« oder »Rose sel à vie« (Salz des Lebens) ergibt.

Dass der Gentleman und Bonvivant Gruber, der sich liebend gern der »Zärtlichen Betrachtung schöner Damen« widmete (wie ein von ihm komponierter Bildband samt Ausstellung im Museum Ludwig 1998 hieß), ein Faible für Man Rays weibliche Bildnisse besaß, lässt sich leicht denken.

Üppig vertreten sind die Porträts, deren glänzendeste Ergebnisse die Dreißiger zeitigten (die Arbeiten aus den 50er/60er sind ausgespart). In dieser Galerie der – auch durch die Autorität von Man Rays Abbildungen – längst zu Ikonen der Moderne nobilitierten Heroen der Epoche treffen sich Braque, Buñuel, Dalí, Derain, Duchamp und Eluard, Max Ernst mit seinen fliegenden Händen, das entrückte Profil der Virginia Woolf, Coco Chanel mit Zigarettenspitze in ihrer mondänen schwarz gewandeten Eleganz, der imponierende Geisteskopf des Arnold Schönberg. Hemingways jugendlich melancholische Weichheit lässt noch nichts vom späteren »Papa«-Appeal ahnen. Cocteau, Artist und Jongleur, hantiert mit dem leeren Rahmen eines Spiegels und inszeniert sich, comme toujours, als poetischer Zaubermeister. Und dann Picasso. Kombiniert sind Aufnahmen, die den Jahrhundert-Maler als Fünfzigjährigen mit klobigem Gesicht, wie gelecktem Haar, schwerfällig und nahezu ungelenk zeigen, mit einem Porträt von 1995 in souveräner, gelassener Herrscherrolle, als drückten Miene und Haltung eben das aus, was sich Man Ray als Spruch für seinen eiförmigen Grabstein auf dem Friedhof Montparnasse ausgewählt hat: »unconcerned, but not indifferent« (unbekümmert, aber nicht gleichgültig). Es muss wohl so etwas geben wie ein jeder Biografie individuell eingeschriebenes geheimes Gesetz, gemäß dem ein Mensch in einer bestimmten Lebensphase zum Ideal seiner selbst findet. Bei Pablo Picasso scheinen dies die Vitalität, Grandezza und Schönheit eines vom Schicksal begünstigten Alters gewesen zu sein.

Ergänzt werden die Porträts auf einer Schauwand durch Repro-Kontaktabzüge für ein von Gruber herausgegebenes Buchprojekt, die Man Ray auf der Rückseite mit handschriftlichen Anmerkungen kommentiert. Die Wertschätzung und persönliche Rangfolge der prominenten Köpfe hat er dabei auf einer Skala bestimmt und mit Ziffern belegt: Die Kandidatin Juliet Browner, Misses Man Ray, erhielt von ihrem Gatten galanterweise »Value 20/20« – volle Punktzahl.

Ihn habe, sagte Man Ray, mehr interessiert, »ein Bild zu machen«, als es bloß aufzunehmen. Das kreativ manipulative und humoristisch spielerische Experiment statt der visuellen Reproduktion hat seine Phantasie beschäftigt. Ansatzweise findet sich diese Idee in den Fotografien mit isolierten Details von Lippen oder Beinen, den Augen mit Glastränen, dem doppelt belichteten Augenpaar der Marquise Casati. Oder in der irritierenden »Milchstraße«-Serie, auf der die Außenfläche eines mit Kondenswasser beschlage- nen Glases in spekulativer Nachahmung der Natur organische Formen zu zeugen scheint.

Man Ray: Kiki, 1926. (c) Man Ray Trust, Paris/VG-Bild-Kunst, Bonn 2008
Man Ray: Kiki, 1926. (c) Man Ray Trust, Paris/VG-Bild-Kunst, Bonn 2008

Am nächsten kommt Man Ray seinem Konzept aber in den so genannten »Rayographien«, für ihn das Verbindungsglied zwischen Fotografie und Malerei, die mit 37 Motiven vermutlich erstmals in kompletter Edition vertreten sind. Es ist eine Fotografie ohne Kamera, eine »Malerei mit Licht und Chemikalien«, wie Man Ray in einem Brief an Gruber formulierte. Objekte wurden dazu in der Dunkelkammer direkt auf Fotopapier gestellt. Diese autonomen »Photogramme« können rätselhafte, ästhe- tisch hinreißende Effekte und Metamorphosen ergeben – abstrakte Formen, tanzende Gebilde, gebrochene transparente Strukturen. Eines der Unikate greift eine Matisse-Körperlinie auf, ein anderes erinnert an Schlemmers Triadisches Ballett, mal legt sich ein Zelluloid-Puzzle, ein Räderwerk kommt in Gang oder es weht blauer Dunst, den das Licht selbst aufgezeichnet zu haben scheint. Eine erste Auswahl wurde 1922 unter dem Titel »Champls délicieux« veröffentlicht.

Die Labor-Methode des Tüftlers, »großen Irrealisten und Surrealisten der Fotografie« (Gruber) übersetzt Theorie und Praxis der écriture auto-matique für ihre Zwecke. Und entspricht damit auch dem von der Künstlergruppe verehrten Programm des düsteren Comte de Lautréamont, der als Metapher für die Schönheit eines Jünglings etwa »das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch« erklärt hatte.

Im dritten Kabinett der Ausstellung erhält der Besucher Zutritt in die Arbeitsatmosphäre von Man Ray, in das »Wunderland« (Gruber) auf der Pariser Rue Férou, das der Universalist von 1951 bis zu seinem Tod 1976 auch privat benutzte. Das Atelier ist gefüllt mit Utensilien, Handwerkszeug und Fundstücken aller Art, Büchern, Bildern, afrikanischen Skulpturen, moderner Plastik, teils ungeordnet, teils zu Stillleben arrangiert. »Man lebte moderat«, erinnert sich Renate Gruber an die alles andere als luxuriöse Behausung mit Ölöfen und fußkaltem Boden, während es heute ein Foto-Klassiker von Man Ray auf eine Millionensumme bringt. 1979 wurde das Studio von dem Kunsthistoriker Herbert Molderings für die Nachwelt festgehalten. In den altmodischen Kammern, die ein Georges Simenon für seine skurrilen Gestalten erfunden haben könnte, begegnet uns der Avantgardist als Traditionalist. Hier bewahrte Man Ray seine Zeit, in ironischer Abneigung gegenüber denjenigen, »die die technische Fertigkeit in meinem Werk bewundern. Eine gewisse Verachtung für das Material, das verwandt wurde, um eine Idee auszudrücken, ist für die reinste Verwirklichung der Idee unerlässlich.« //

Bis 31. August 2008; Katalog, 214 Seiten, 49 Euro, Steidl Verlag; SK Stiftung Kultur, Im Mediapark 7, 50670 Köln; www.photographie-sk-kultur.de

0016992657-0051469460.JPG

Text: Andreas Wilink /

Erschienen in K.WEST - Ausgabe Juni 2008