Essen. Mehr kalkuliertes Geschäft als Herzenssache, wird auch der Kunstmarkt von Wirtschaftszyklen beeinflusst. Die Turbulenzen der letzten Monate sind aber weniger Bedrohung als Chance für diese Sparte.
Der internationale Kunstmarkt hat ein Volumen von rund 20 Milliarden Euro pro Jahr. Verglichen mit anderen Märkten ist das natürlich vergleichsweise bescheiden. Doch weil das Luxusgut Kunst wie der Korken einer Champagnerflasche auf den Wogen der Wirtschaftszyklen treibt, ist es auch ein guter Indikator für Auf- und Abwärtstrends.
Wie man sich durch Preisrekorde ins Gespräch bringt
So ist es also kein Zufall, dass die Auktionspreise für Kunst in den ersten Monaten des vergangenen Jahres noch zu explodieren schienen. Im Mai 2008 war Lucian Freuds lebensgroßes Akt-Gemälde „Benefits Supervisor Sleeping” für 33,6 Millionen US-Dollar bei Christie's versteigert worden; dem zu diesem Zeitpunkt höchsten Betrag, der je für ein Gemälde eines noch lebenden Künstlers gezahlt worden war.
Doch mit der Pleite der Lehman Brothers Mitte September und dem Wackeln weiterer Bankhäuser geriet auch der Kunstmarkt ins Trudeln. Wenn natürlich auch etwas zeitversetzt: Denn just am Tage des Lehman-Crashs, jenem 15. September 2008, ließ Damien Hirst insgesamt 223 seiner Werke bei Sotheby's in London versteigern – darunter ein eingelegtes „Goldenes Kalb” für immerhin 10,3 Millionen Pfund. Eine solche Aktion hatte es nie zuvor gegeben, normalerweise beliefern Künstler nicht direkt die Auktionshäuser, sondern ihre Galerien.
Aber bei den großen Herbstauktionen von Sotheby's und Christie's im Oktober und November blieben dann neben vielen anderen Kunstwerken auch zahlreiche Werke Damien Hirsts unverkauft.
Diese Entwicklung als Katastrophe zu werten, wäre schlichtweg Unsinn. Viel eher ist hier – wie auch im Bereich der Aktien- und Immobilien-Märkte – einfach die Spekulations-Blase geplatzt. Denn Kunst-Kauf ist längst nicht mehr reine Herzensangelegenheit, sondern ein kalkuliertes Geschäft. Auch zu Image-Zwecken.
Schon als der japanische Yasuda Versicherungskonzern Vincent van Goghs „Sonnenblumen” im März 1987 bei einer spektakulären Auktion von Christie's in London für den damaligen Weltrekordpreis von rund 40 Millionen Dollar ersteigerte, war das letztlich ein gelungener Werbe-Coup. Und der Name des renommierten Kosmetik-Herstellers Ronald Lauder war weltweit nie so sehr im Gespräch wie im Sommer 2006, als er für sagenhafte 135 Millionen Dollar Gustav Klimts erstes Porträt der Adele Bloch-Bauer erwarb.
Dieses Gewitter hat reinigende Wirkung
Bei solch astronomischen Summen stellt sich nicht nur generell die Frage, ob Kunst überhaupt solch einen Wert haben kann. Es fragt sich auch, ob das versteigerte Werk innerhalb des Gesamtschaffens eines Künstlers einen derartigen Stellenwert besitzt. Sicherlich ist die sogenannte „Goldene Adele” ein wichtiges Bild Klimts. Doch verglichen mit seinem Gemälde „Der Kuss”, das für die Entstehung der eleganten Jugendstil-Kunst und Klimts Feingefühl für Goldhintergründe, Flächigkeit und Applikationen viel symptomatischer ist, erscheint die „Goldenen Adele” eher zweitrangig. Was also wäre „Der Kuss” wert, der sich im Besitz der Österreichischen Galerie Belvedere befindet und zum Glück unverkäuflich ist? 200, gar 300 Millionen?
Dieser Vergleich zeigt, wie kalkuliert im Kunst-Markt in den letzten Jahren auf große Namen gesetzt wurde, ohne sich um wirkliche Relationen zu scheren. Und wer als lebender Künstler besonders laut trommelte und sich auf Eigenwerbung verstand, der schien seinen Marktwert beinahe stündlich erhöhen zu können. So wie Damien Hirst, der Ende August 2007 einen diamantenbesetzten Totenschädel für rund 75 Millionen Euro an eine Investmentgruppe verkaufte. Wäre man zynisch, so würde man sagen: Gerade die krisengeschüttelten Investment-Banker haben in den letzten Monaten erfahren, dass auch die Weisheit „Diamonds are forever” trügerisch sein kann.
Aber weil wir nicht zynisch, sondern realistisch sind, formulieren wir es mal so: Das Gewitter, das sich gerade über dem Kunstmarkt entlädt, hat reinigende Wirkung. Die Käufer schauen wieder mehr auf Qualität und Einmaligkeit, statt sich durch Sensationsmeldungen den Blick vernebeln zu lassen. Gefragt als solide Anlage ist derzeit Kunst mit einem langen Stammbaum – für Werke der Renaissance oder Alte Meister wird immer noch tief in die Tasche gegriffen –, bei zeitgenössischer Kunst herrscht eher Katerstimmung. Sehen wir's als Chance: 2009 kann sie zeigen, wie gut sie wirklich ist.
Armer Vincent
Seit die Preise auf dem Kunstmarkt in den 1980er Jahren explodierten, spielen die Gemälde Vincent van Goghs (1853 - 1890) ganz vorne mit. Seine „Sonnenblumen” brachten rund 40 Millionen Dollar, die „Schwertlilien” 53,9 Millionen und das „Porträt Dr. Gachet” 82, 5 Millionen. Kurz vor seinem Tod verkaufte van Gogh sein Bild „Der rote Weinberg” – für 400 Francs.
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