Literatur-Star Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“) überrascht mit einer schrägen Grusel-Groteske, in der ein Ferienhaus in den Bergen zum ver-rückten Ort wird.
Mit dem Geodreieck vermisst ein ruhmloser Drehbuchautor die ver-rückte Welt, allein: Die (Blick-)Winkel stimmen längst nicht mehr. „Du hättest gehen sollen“, sagt sich der Erzähler in Daniel Kehlmanns kurzer Grusel-Groteske, die einen Familienvater in ein Horror-Ferienhaus schickt.
Die Maßstäbe verschieben sich, Flure werden länger, Bilder an den Wänden verschwinden, neue Zimmer kommen hinzu: Es ist der Ort, raunen die Bewohner unten im Dorf dem namenlosen Ich-Erzähler zu, der Ort dort oben ist verhext. Dass er es versäumt, seine Familie und sich rechtzeitig aus dem Ferienhaus und in Sicherheit zu bringen, ist der rauen Wirklichkeit geschuldet: seiner Schreibblockade, dem andauernden Ehestreit.
Zwischen den Zeilen von Drehbuch-Schnipseln und Beziehungsdialogen lässt Kehlmann Irritationen aufblitzen, zu denen (natürlich) das plötzlich verschwundene Spiegelbild des Autors zählt: Im Wohnzimmerfenster sieht er, vor dem dunklen Himmel draußen, nur den leeren Stuhl, auf dem er doch eigentlich sitzt. Und auf dem Bildschirm des Babyfons – sich selbst.
Amouröse Wortfetzen im Notizbuch
Als magischer Realist hat sich Kehlmann in vielen Werken erwiesen, massiver Horror ist eher ungewohnt. Und leider weit entfernt von der Grusellust, die ein Stephen King zu wecken vermag. Womöglich steckt in diesen 96 Seiten auch nur die Verwandlung eines Beziehungsdramas: Da entdeckt er auf ihrem Handy Nachrichten, die eine eindeutige Sprache sprechen. Schreibt die amourösen Wortfetzen in seinem Notizbuch ab, kann sie trotzdem nicht glauben. Und liest dort später Zeilen, die er gar nie geschrieben haben will – die Doppelbödigkeit des Betrugs kann eine Welt durchaus aus den Fugen geraten lassen. Bis der rechte Winkel des Geodreiecks sich als äußerst krummes Ding erweist.
Daniel Kehlmann: Du hättest gehen sollen. Rowohlt, 96 S., 15 €