Ruhrgebiet. . Gottgefälliges Ruhrgebiet? Da muss man denn doch ein bisschen graben und wühlen. Werner Bergmanns Buch über die Heiligen und das Revier.

Um zu veranschaulichen, dass der Himmel über der Ruhr früher nicht nur grau, sondern voller Wunder schien, ein Wort zuvor: Vor Jahrzehnten, der Verfasser dieses Textes war noch ein Kind, verlor er seinen Schlüsselbund. Nicht Kisten und Kästen, nicht dunkle Korridore und tiefe Anoraktaschen gaben ihn her. Des Knaben Tante Luise, Jahrgang 1905, zog daraufhin ihren Staubmantel an, und ging zum Denkmal des Heiligen Antonius. Sie rief ihn an (im übertragenen Sinne, denn weder Heilige noch Tante Luise hatten damals Telefon). Antonius half: Der Schlüssel fand sich.

Diesem Antonius dichtete eine Legende nämlich ein Schweinchen an die Seite, das – selbst freilaufend – nie verloren ging. Tatsächlich aber stand die kleine Sau für die Versuchungen, denen der Urahn des Mönchtums ausgesetzt war. Davon wussten Tanten damals wenig.

„Als der Himmel über dem Ruhrgebiet noch bevölkert war“

Doch zur Sache: „Als der Himmel über dem Ruhrgebiet noch bevölkert war“, untertitelt Werner Bergmann sein eben erschienenes Buch „Unser aller Heiligen“. Es ist ein Werk, das den studierten Historiker Bergmann vor keine leichte Aufgabe stellte. Denn „unser“ würde ja doch eine Zugehörigkeit zum Pott bedeuten. Tatsächlich hat das Ruhrgebiet nicht zuletzt aufgrund seiner Jugend nur einen hervorgebracht. Das ist seit 2001 Nikolaus Groß. 1898 kam er in Niederwenigern (bei Hattingen) zur Welt. Er wurde Bergmann, christlicher Gewerkschaftssekretär im Antonius-Knappenverein, wirkte in Essen und Bottrop. Der vom Glauben geprägte Widerstand gegen Hitler brachte ihm den Tod. Der radikale Vernichtungswahn des Freislerschen Volksgerichtshofs verurteilte ihn als „Mitläufer“ zum Tod durch Erhängen. Groß starb im Januar 1945 und 56 Jahre später sprach Johannes Paul II. ihn selig. Was das Tor zur Verehrung durch die Ortskirche öffnete.

Natürlich findet sich Groß in Bergmanns Buch mit rund 50 Heiligen-Geschichten und -Geschichtchen (ein Sinn fürs Anekdotische schimmert stets durch). Er ist im Kapitel „Regionale Heilige“ zu Hause. Um diese regionale Himmelspforte dann doch für ein paar mehr gottgefällige Biografien zu öffnen, hat der Autor die dicke Schicht Kohlenstaub von unserem Heimatboden weggepustet. Darunter liegen bekanntlich Westfalen und das Rheinland.

Liudger, der „Immobiliensammler“

Und also begegnen wir unter so saftigen Überschriften wie „Erschlagen in Aplerbeck“ den beiden heiligen Ewalden, deren Friedensmission mit beider Leichen in der Emscher endete und dann im Rhein, „mit einer hellen Lichterscheinung stromaufwärts bis Kaiserswerth, wo sie auf der Rheininsel zunächst eine Ruhestätte fanden“. Wir finden Liborius und Paderborn, Werdens auch unternehmerisch begnadeten Gründer Liudger („Immobiliensammler“), Xantens Viktor und jenen fast vergessenen Eligius, der den Essener Stiftdamen aus der Ferne Reliquien in Knochenform schickte. In Eligius’ Vita steckt einer dieser typischen Bergmann-Sätze, die in aller Trockenheit herrlich humorgesättigt sind. Etwa, als Eligius Bischof wird. Bergmann: „Um dieses Amt wahrnehmen zu können, ordnete er seine persönlichen Lebensverhältnisse: Er schickte seine Ehefrau ins Kloster.“

Andere Pointen Bergmanns (etwa Tipps für die griechische Regierung) wären verzichtbar gewesen. Aber Kalauer sind in diesem leicht lesbaren Buch nicht die Regel.

Abbildungen enthält das Buch nicht

Die vielen großen, eher international gefragten Heiligen von jener Barbara, die den Kumpels so viel bedeutet, über Elisabeth und Anna bis zu Valentin, Martin oder Jakobus, versteht Bergmann dann doch mit irgendeiner Revier-Referenz zu versehen, mal als Stadtpatron, mal indem er schlicht nach ihnen benannte Kirchen erwähnt.

Den ganz Frommen könnte das Kompendium einen Schuss zu respektlos sein. Anderen dürften gerade Untertitel wie „Flamme vom Chef“ (Maria Magdalena) oder „Mit Beinfreiheit und einem Hund“ (Rochus) den Eintritt in die geheimnisvolle Welt der Heiligen erleichtern. Abbildungen enthält das Buch nicht. Wer Heilige sehen will, trifft sie in den vielen Gemeinden des Reviers. Und sollte einer mal gar nicht aufzufinden sein: Die Tante hätte zu Antonius geraten.