Essen. . Von herausragenden Lebenswegen, berühmten Reviermenschen und dem Charme tollkühner Alltagsheldinnen erzählen zwei neue Bücher.
Bodenständig und ehrlich, fleißig und entschieden sozial – mit diesen Eigenschaften machten die Reviermenschen ihr Ruhrgebiet zu dem, was es ist. Rampenlicht? Eher nicht. Die Region ist keine der Vordrängler (gut zu beobachten noch am zähen Zockeln auf der A 40); im Mittelfeld ist man hier ganz bei sich. Wie viele Ausnahmen es aber gibt von dieser Regel, das erzählen zwei staunenswerte Bücher voller herausragender, einzigartiger Revier-Biografien.
Krupp, Beitz, Thyssen, Stinnes, diese Leuchtturm gewordenen Namen sind natürlich zu erwarten, auch Josef Albers, Heinz Rühmann, Christoph Schlingensief oder Marie Luise Marjan zählen zweifelsfrei zu wegweisenden Revierexporten: Martin Berkes „Ruhmeshalle des Ruhrgebiets“ steht auf einem soliden, gleichwohl erinnernswerten Fundament. Wenn der Journalist uns in launigem Ton durch „101 bemerkenswerte Biografien“ führt, gibt es dennoch äußerst lohnende Entdeckungen. Womit nicht gemeint ist, dass hier auch fiktionale Figuren wie Herbert Knebel und Theo „gegen den Rest der Welt“ Gromberg ein Denkmal erhalten. Sondern eher Schmankerl der Kategorie „Wussten Sie schon?“: Bevor Thilo Sarrazin Deutschland in akute Abschaffungsgefahr hineinpolemisierte, schwitzte er als Bub im Recklinghäuser Gymnasium Petrinum: drei Fünfen in der achten Klasse. Mime Manfred Krug klaute einst mit seiner Gang in Duisburg-Duissern Metallschrott – ob das Ich-war’s-nicht-Gesicht seine erste schauspielerische Leistung war? Und der schreibende Gourmet Wolfram Siebeck entdeckte seine fundierte Abneigung gegen Mehlschwitze leider in reviertypischer Hausmannskost.
Gewichtige Druckwerke der Region
Werfen diese Episoden ein eher fragwürdiges Licht auf die Region, zeugen zum Ausgleich teils ziegelsteinschwere Printprodukte von seiner intellektuellen Strahlkraft: Baedecker, Brockhaus und Duden entstammen gleichnamigen Familien aus Essen, Dortmund und Wesel. Fantasievollere, poetische Werke hat die in Dorsten geborene Cornelia Funke verfasst, das weiß jedes Kind im Ruhrgebiet. Aber vielleicht nicht, dass Funke ihren ersten deutschen Erfolgsroman „Herr der Diebe“ auf eigene Faust übersetzen ließ, einem britischen Verlag vorlegte – und so ihre Weltkarriere mit reviertypisch aufgekrempelten Ärmen selbst anschob.
Kommen wir also zu den Frauen des Reviers. 50 „Starke Frauen im Revier“ haben die Autorinnen Sabine Durdel-Hoffmann und Anita Brockmann porträtiert – stellvertretend für so viele mehr, wie sie schreiben. Der Blick der Autorinnen ist zumeist einer in die Vergangenheit, die etwa beginnt mit den Essener Stiftsdamen, unverheirateten, sozial engagierten Adeligen und längst nicht endet bei den Mitbegründerinnen der großen Revier-Dynastien: Etwa Aletta Haniel, die 1782 nach dem Tod ihres Ehemanns Jacob Wilhelm Haniel erkannte, dass lukrativer noch als dessen Weinhandelsgeschäfte der Handel mit Kohle und Eisenwaren sein könnte. Oder die vielen Krupp-Frauen, angefangen von Helene Amalie über Therese bis zu Margarethe (die mit der Höhe) und der patenten Familienmanagerin Bertha. Die Porträts sind voller Begeisterung, auch Sendungsbewusstsein verfasst, ob es nun darum geht, in Henriette Davidis’ Kochtöpfe und ihren Bestseller „Zuverlässige und selbstgeprüfte Recepte der gewöhnlichen und feineren Küche“ zu schauen, mit Clärenore Stinnes Autorennen zu fahren oder mit Thea Rasche Loopings zu fliegen. Echte Entdeckungen gibt es auch hier, etwa in Person der zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Detmolder Künstlerin Ida Gerhardi. Nicht selten werfen die Autorinnen ein Schlaglicht auf die „besseren Hälften“ der großen, prägenden Männer der Region: Anneliese Brost, rechte Hand und spätere Ehefrau des WAZ-Mitbegründers Erich Brost oder Hulda Pankok, Ehefrau des Künstlers Otto Pankok.
Leicht wäre es gewesen, diese Frauenpower-Reigen mit Schauspielstars wie Ruth Leuwerik und Elisabeth Volkmann abzuschließen. Am krönenden Schluss aber stehen nicht die Künstlerinnen, sondern Lebenskünstlerinnen: Emmy Olschewski, einst Kiosk-Inhaberin in Castrop-Rauxel, oder Markthändlerin Auguste Kinski aus Gelsenkirchen. Was auch bedeutet: Es gibt so viel mehr als nur 50 oder auch 101 herausragende, ungewöhnliche Biografien im Ruhrgebiet. Nämlich, sagen wir, etwas mehr als fünf Millionen.
Sabine Durdel-Hoffmann und Anita Brockmann: Starke Frauen im Revier. Alles, nur nicht zimperlich. Elisabeth Sandmann Verlag, 160 S., 19,95 €
Martin Berke: Die Ruhmeshalle des Ruhrgebiets. 101 bemerkenswerte Biografien. Droste, 248 S., 16,99 €