Frankfurt/M. Carolin Emcke wird am Sonntag mit dem Friedenspreis geehrt – und kann es selbst kaum glauben. Ihr erster Kommentar war: „Das bin doch nur ich“.
„Das bin doch nur ich.“ Dieser Satz schoss Carolin Emcke durch den Kopf, als ihr am Telefon diese schier unglaubliche Botschaft überbracht wurde, sie sei die diesjährige Friedenspreisträgerin. „Nur ich“, die also nun an diesem Sonntag eine Rede in der Frankfurter Paulskirche halten wird, „nur ich“, die in der Nachbarschaft von Berlin-Kreuzberg für den Preis herzlich beglückwünscht wurde und „nur ich“, die sich auch der schwul-lesbischen Community verpflichtet fühlt, die den Preis beim Christopher Street Day auch als den ihren feierte: „Ich darf das jetzt nicht vermasseln“, sagt da am Freitagmorgen bei der Pressekonferenz eine gut gelaunte Preisträgerin.
Carolin Emcke, 1967 in Mülheim geboren, hat hier in Frankfurt und später in Harvard Philosophie, Politik und Geschichte studiert; die Laudatio wird am Sonntag ihre ehemalige Harvard-Professorin Seyla Benhabib halten. Als Journalistin war sie beim Spiegel und bei der Zeit beschäftigt und bereiste die Krisenregionen dieser Welt: vom Kosovo über den Irak und den Gazastreifen.
Was Gewalt mit den Menschen, mit Gesellschaften macht, das lotete sie nicht nur in Büchern über diese Reisen aus, sondern auch in einem vielbeachteten Werk über den Terror der RAF: als Patentochter des Deutsche-Bank-Vorstands Alfred Herrhausen, der bei einem Attentat getötet wurde. Noch persönlicher und berührender untersuchte sie die eigenen Gefühlswelten in dem Essay „Wie wir begehren“, das von der Entdeckung ihrer Homosexualität erzählt und die Freiräume des Anderen, Fremden verteidigt.
Der Schlüssel zum friedlichen, gelingenden Miteinander
Wenn Emcke, die im Vorfeld des Preises nur sehr wenige Interviews gab, nun der Journalistenschar offenbart, dass sie den Preis eher „als Aufgabe für Zukünftiges denn als Auszeichnung für schon Geleistetes empfindet“, ist das also ein wenig zu bescheiden. Und wenn sie da so schmal und in schwarzer Lederjacke auf dem Podium sitzt, drängt sich der Gedanke auf, dass es genau dieser Satz ist, „Das bin doch nur ich“, in dem sich der Schlüssel zum friedlichen, gelingenden Miteinander verbirgt – wenn es gelingt, genau dieses Gefühl der eigenen Bedeutungslosigkeit zu überwinden.
Ihr aktuelles Werk „Gegen den Hass“ ist ein Aufruf an jeden einzelnen, sich Hass und Gewalt entgegenzustellen: „Es ist wichtig, zu widersprechen.“ Für den Dialog plädiert die Friedenspreisträgerin, für „eine Einfühlung in Positionen“, und sei es in jene des rechten Randes. Aber was, wenn da eine Masse Mensch vor einem Flüchtlingsbus brüllt, wie in Clausnitz? „Es gibt Grenzen der Toleranz und der Empathie“, sagte Emcke, ohne jedoch weiter auszuführen, was zu geschehen habe, wenn diese Grenzen nun überschritten werden.
Nachdenkliche, tastende Ratlosigkeit
Genau dies, die Haltung einer nachdenklichen, tastenden Ratlosigkeit, aber macht Carolin Emcke sympathisch. Die politische Lage in Europa, die Potenzierung des Hasses durch das Internet, die Fragen von Gewalt im Namen einer Religion – schnelle Welterklärersätze sind von Carolin Emcke nicht zu erwarten, wenn es darum geht, was die Welt im Innersten nicht zusammenhält.
Lassen wir also das Denken die Richtung ändern und fragen: Was eint die Menschen? „Alle haben einen Begriff von Freiheit und Würde, auch wenn Freiheit und Würde ihnen nicht zugestanden werden.“ Es eine uns auch, über alle Grenzen hinweg, die Liebe zur Familie, zu den Kindern. Und, sagt Carolin Emcke und schüttelt mit einem humorvollen Lächeln das ungewohnt Staatstragende dieses Medien-Events von sich ab, noch etwas habe sie bei ihren vielen Reisen festgestellt: „Alle Menschen mögen gutes Essen.“