Frankfurt. .
Der deutsche Buchmarkt schrumpft. 9,2 Milliarden Euro Umsatz in diesem Jahr bedeuten ein Minus von 1,4 Prozent, Tendenz sinkend, und man kann die Schuld noch nicht einmal dem (billigeren) E-Book in die virtuellen Seiten schieben – das nämlich pendelt seit einigen Jahren knapp hinter vier Prozent Umsatzanteil. Diese nüchternen Zahlen muss man sich vergegenwärtigen, wenn auf der Frankfurter Buchmesse eine gigantische Überwältigungsmaschine angeworfen wird, in der sich der Einzelne zwischen meterhohen Regalen ganz, ganz klein fühlt. Und Büchern und Buchprojekten gegenüber steht, die ob ihrer schieren Größe zu beeindrucken suchen.
Da wäre etwa die zum 500. Reformationsjubiläum überarbeitete Lutherbibel, das Buch der Bücher: 70 Experten hat die evangelische Kirche beauftragt, der Übersetzung zu neuem Glanz zu verhelfen. Da wäre ein 700 Kilo schweres Prachtwerk aus belgischer Schokolade: So präsentiert sich Flandern, neben den Niederlanden Gastland der Messe, als Literaturland zum Anbeißen: Lekker lesen! Und da wäre David Hockneys Prachtband „Sumo“, 500 Seiten stark und stehend so groß wie ein Pony: Der Band, den der 79-jährige Künstler höchstselbst in Frankfurt präsentiert, ist im Taschen-Verlag erschienen – und dieser ist Gründungspartner eines neuen Messezweigs: „The Arts+“.
Diese „Kunst-Plus“-Plattform, noch etwas verschämt an den Rand von Halle 4 gedrängt, begibt sich gewissermaßen auf die Spuren Hockneys und seiner Experimente mit Kopierern und Faxgeräten. Nur dass heute der Computer übernimmt: Neben den virtuellen Spielfeldern der Kunst untersucht die Konferenz auch, ob die Kunst bald ähnlichen Fragen gegenübersteht wie etwa die Musikindustrie: Urheberschaft und Besitz.
Was machen wir nur mit diesem Internet? Im „Orbanism Space“, der Abteilung für neue Wege, sucht Deutschland den Blogbuster. Literaturblogger sollen hier einer Jury ihre literarischen Entdeckungen präsentieren. Denis Scheck sitzt der Jury vor. Längst versuchen auch deutsche Verlage, mit digitalen Mitteln zu verstehen, was Lesen eigentlich bedeutet.
Im gleichen Geist veranstaltet der Niederländer Arnon Grünberg ein Experiment: In einem Wagen auf dem Messeplatz lädt er ins „Grünberg-Lab“ und verkabelt die Leser seiner Novelle „Die Datei“. Die gesammelten Hirnströme will er später mit jenen abgleichen, die er beim Schreiben hatte.
Wie wäre das, könnte man in den Kopf eines Autoren schauen?
Auf den zahlreichen Bühnen geben Schreibende immerhin kleine Einblicke: Große Geister wie Sibylle Lewitscharoff, große Sportler wie Ilija Trojanow – oder große Sänger wie Wolf Biermann, der launig verkündet, die ersten vier Jahren im Westen „waren die schrecklichsten meines Lebens, ich wusst ja gar nicht mehr, wo oben und unten ist“.
Das kann auch im Messetrubel leicht passieren, zum Glück rückt der Gastland-Pavillon den Horizont zurecht. Eine Meereslandschaft zeigen die Videowände ringsum, in den flachen Backsteinboden in Hollandrot haben die Macher Schaukästen mit literarischem Strandgut eingelassen und Fotos von Autorenschreibtischen: ein Ort, der der Literatur ihre Magie zurückgibt. Und sie, allen Zahlen zum Trotz, ganz, ganz groß macht.