Essen. . Lamya Kaddor, Islamwissenschaftlerin und Lehrerin, hat sich beurlauben lassen. Grund sind üble Anfeindungen wegen ihres Buches „Die Zerreißprobe“.

Bis vor wenigen Tagen war die Duisburgerin Lamya Kaddor (38) Islamwissenschaftlerin und Lehrerin. Nun aber hat sie sich überraschend vom Schuldienst beurlauben lassen. Als Grund nannte sie die massiven Anwürfe und Drohungen nach Erscheinen ihres Buches „Die Zerreißprobe“ über Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. Mit Britta Heidemann sprach sie über ihre derzeitige Lage.

Frau Kaddor, werden Sie jetzt von der Polizei geschützt?

Lamya Kaddor: Es gibt Maßnahmen, ja. Aber es wäre nicht klug, diese im Einzelnen zu benennen.

Sie haben sich bis Sommer 2017 vom Schuldienst beurlauben lassen. Was ist passiert?

Kaddor: Anfang vergangener Woche hat mir ein Mann, der nicht weit entfernt wohnt, mit Klarnamen über 50 Mails geschickt. Die Drohungen waren massiv und betrafen auch meine Familie. Ich fuhr zur Schule und schaltete die Sicherheitsbehörden ein.

Auch interessant

Es hieß dann relativ schnell, man habe den Mann ausfindig gemacht. Zugleich waren mehrere beleidigende und verleumderische Blog-Einträge gegen mich erschienen: Ich hätte keinen Abschluss in Islamwissenschaft, keine Befähigung zum Lehramt, keine regelmäßigen Einkünfte, gar nichts. Ich sei eine Hochstaplerin. Es kamen immer mehr Hassbotschaften auf allen Kanälen. Und dann musste ich an die Schüler denken, die ich unterrichte: Wenn ein Gewalttäter an meine Schule kommt – das ist ein Risiko, das nicht mehr berechenbar ist. Jeder weiß oder kann leicht herausfinden, an welcher Schule ich arbeite.

Was bedeutet die Beurlaubung?

Kaddor: Die Entscheidung fiel schweren Herzens. Zudem habe ich keine Lohnfortzahlung, auch wenn das im Internet immer wieder behauptet wird.

Und die Drohungen und Angriffe waren heftiger als nach Ihren früheren Büchern?

Kaddor: Ja. Ich wurde bereits von Islamisten bedroht wegen meines Engagements gegen den Salafismus oder meiner liberal-theologischen Auffassungen. Aber das war nicht so breit wie jetzt. Auf Twitter schreiben Leute öffentlich: „Wann ballert der Frau endlich jemand eine Kugel in den Kopf?“ Jetzt gerade eben habe ich hier eine Mail geöffnet, da schreibt ein Dieter W.: „Krepier an Krebs, du Moslemfotze.“ Um mal ein eigentlich gar nicht zitierfähiges Beispiel zu nennen.

Sie haben Journalisten wie Roland Tichy oder auch Henryk M. Broder vorgeworfen, dass sie Stimmung gemacht haben.

Kaddor: Richtig. Viele halten diese Leute ja für integre Journalisten. Sie glauben aber gar nicht, wie viele der Gehässigen sich gerade auf diese beiden beziehen. Da wird von den Leuten allen Ernstes gefordert, ich solle mein Magisterzeugnis auf Facebook posten!

Warum machen Sie das nicht?

Kaddor: Glauben Sie, ich lasse mich von solchen Personen vorführen? Wie soll mich eine Bezirksregierung einstellen, wenn ich keinen Abschluss habe?

Auch interessant

Außerdem: Sie glauben doch nicht, dass die Leute von mir ablassen würden, wenn ich mein Magisterzeugnis öffentlich mache!

Können Sie sich vorstellen, dass Sie sich irgendwann aus der Öffentlichkeit ganz zurückziehen?

Kaddor: Das will ich nicht ausschließen. Mit meiner Identität ecke ich bei immer mehr Menschen an: Für die Islamisten bin ich keine Muslimin mehr, für die anderen bin ich viel zu viel Muslimin. Wissen Sie, wie anstrengend das ist, sich dauernd selbst zu erklären? Anscheinend fordert schon meine bloße Existenz die Menschen heraus.

Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten, würden Sie das Buch anders schreiben – oder gar nicht?

Kaddor: Auf keinen Fall. Das Buch ist absolut nötig. Schauen Sie sich doch die rassistischen und fremdenfeindlichen Auswüchse in Deutschland, Europa oder den USA an. Das Buch an sich ist doch gar nicht das Problem. Ich glaube, dass ich eine Projektionsfläche für Leute geworden bin, die die Realität einer pluralen, offenen Gesellschaft nicht wollen. Deshalb haben Islamhasser mit mir ebenso ein Problem wie Islamisten.

Fühlen Sie sich noch sicher?

Kaddor: Ich mache mir über diese Frage durchaus Gedanken. Wenn Leute in Blogs schreiben, wo sie mich im Alltag gesehen haben, ist das schon sehr befremdlich.