Essen. . Sebastian Koch hat schon viele Rollen gespielt. Jetzt mimt er in dem Drama „Nebel im August“ den Klinikchef Walter Veithausen, der das Euthanasie-Programm der Nazis sachlich und präzise umsetzt.

Im deutschen Kino gilt Sebastian Koch als Spezialist für die großen historischen Aufgaben. Er war der Hitler-Attentäter Claus von Stauffenberg, hat als Klaus Mann oder Alfred Nobel reüssiert. Das Oscar-nominierte Stasi-Drama „Das Leben der Anderen“ war sein internationaler Durchbruch. Seitdem kann man den deutschen Schauspieler auch mal an der Seite von Bruce Willis („Stirb langsam 5“) oder in Steven Spielbergs Spionage-Thriller „Bridge of Spies“ erleben. Seine Auftritte im deutschen Kino sind dagegen rar geworden. Für das eindringliche Drama „Nebel im August“, in dem der 54-Jährige als Klinikchef Walter Veithausen das Euthanasie-Programm der Nazis ebenso sachlich wie präzise umsetzt, hat sich Koch sofort gewinnen lassen. Denn das Schicksal behinderter Kinder ist ihm ein Anliegen, wie er im Gespräch mit Martina Schürmann erklärte.

Herr Koch, mit dem Euthanasie-Film „Nebel im August“ und dem Abtreibungsdrama „24 Wochen“ beschäftigen sich in diesen Tagen gleich zwei Filme mit der Frage, ob wir über menschliches Leben entscheiden dürfen: über geborenes oder ungeborenes, todkrankes oder schwer behindertes. Die Frage bleibt aktuell.

Sebastian Koch: Mir war auch wichtig, dass wir das Thema nicht nur im Nationalsozialismus verankern, sondern die Brücke in die Gegenwart sehen, nehmen wir nur die Pränatal-Diagnostik, die inzwischen weit fortgeschritten ist und den Eltern weitreichende Entscheidungen abverlangt. 90 Prozent der Kinder mit Down Syndrom werden heute zum Beispiel gar nicht mehr geboren. Und: Der Begriff der „Rassenhygiene“ war damals keine nationalsozialistische Erfindung, diese Anschauungen kamen schon Ende des 19. Jahrhunderts auf. Die Nazis haben das dann gezielt instrumentalisiert und durch die Gesetze zwischen ‘33 und ‘38 zum perfiden Mordwerkzeug entwickelt.

Sie haben bei den Dreharbeiten für „Nebel im August“ mit rund 80 behinderten Komparsen und ihren Familien aus Warstein gearbeitet.

Die meisten Eltern haben mir erzählt, dass die Ärzte ihnen ganz klar abgeraten haben, das behinderte Kind zu bekommen. Sätze wie „Tun Sie sich das nicht an“ sind in einer solchen Situation bedenklich. Das finde ich gefährlich. Natürlich haben Ärzte eine Beratungspflicht. Aber sie dürfen nicht in die Entscheidung eingreifen, die muss in den Familien bleiben. Alle Eltern, mit denen ich gesprochen habe, sagen, sie würden sich auch mit den heutigen Erfahrungen wieder genau so entscheiden.

Wie haben Sie selbst die Zusammenarbeit empfunden?

Für mich war das eine sehr schöne und intensive Drehzeit, weil die Kinder einfach bezaubernd sind und einem einen ganz ungefilterten Blick auf die Welt schenken. Ich hätte mich vor dem Film schon als offen und angstfrei beschrieben. Aber wenn man so engen Kontakt hat zu behinderten Kindern, erfordert das eine intensive Beschäftigung. Behinderte Menschen brauchen Zeit, Aufmerksamkeit und Geduld. Drei Dinge, die in unserer Zeit sehr selten geworden sind. Unsere Gesellschaft hat den Hang zur Norm, zur Perfektion. Aber ich glaube, gerade das Abweichende von der Norm macht das Leben spannend. Das ist doch ähnlich wie in der Kunst: Alle wollen besondere Filme, aber wehe, es weicht dann doch von den vertrauten Wahrnehmungen und Sehgewohnheiten ab!

Sie haben sich schon oft mit Figuren im Kontext des Nationalsozialismus beschäftigt. Was hat Sie an diesem Klinikchef Veithausen interessiert?

Zunächst einmal wollte ich nicht, dass das so ein Oberböser ist, der von seinem Büro aus das Töten organisiert. Ich habe versucht, Veithausen von der wissenschaftlichen Seite zu zeichnen. Er war auch kein Vollblut-Nazi, er war ein Ver-Rückter in gewisser Hinsicht. Verrückt sein heißt ja auch, eine Wahrnehmung zu verrücken. Das hat etwas Schizophrenes. Er glaubte wohl tatsächlich, eine bedeutende Aufgabe zu erfüllen. Denn jedes Bett, das durch seinen Todesbefehl frei wurde, machte Platz für einen, der die Chance hatte, gesund zu werden.