Düsseldorf. . Furioser Auftakt für die Intendanz von Wilfried Schulz am Düsseldorfer Schauspielhaus: Raoul Schrotts „Gilgamesh“ im Theaterzelt – und auf der Kö.

Am Ende, nach all den Schlammschlachten und Kämpfen um Ruhm für die Ewigkeit, werden die Zelt-Leinwände hochgehen und der König schreitet nach draußen auf die Kö und schreit: „Klopft die Fundamente ab, prüft das Mauerwerk...!“ Das ist – als programmatische Ansage für die neue Ära des Düsseldorfer Schauspielhauses – ein Wort wie ein Versprechen, an die Grundfesten der Gesellschaft zu gehen. Jetzt müssen der neue Intendant Wilfried Schulz und sein Ensemble nur noch liefern.

Es ist ja überhaupt kühn und schlüssig zugleich, eine Theaterregentschaft mit dem ältesten bekannten Epos der Menschheit überhaupt zu beginnen, das von Kämpfen der Götter, Halbgötter und Menschen berichtet und auch schon eine Sintflut kennt. Das „Gilgamesh“-Epos entstand mit der ältesten Zivilisation im Zweistromland an Euphrat und Tigris, vor fünf Jahrtausenden.

Es erzählt vom sagenhaften König Gilgamesh, der grausam und gewalttätig über die erste Metropole der Menschheit herrschte, die 40 000-Einwohner-Stadt Uruk mit einem Stufenturm aus fünf Millionen Ziegeln. Die Einwohner klagen bei den Göttern über Gilgamesh, und die erschaffen aus Lehm einen, der ihm Paroli bieten kann: Enkidu. Der jedoch wird, nach einem epischen Kampf, Gilgameshs Gefährte und Freund; gemeinsam suchen sie Ruhm und ewiges Leben, gehen dafür durch die Wüste bis an den Rand der Welt und erschlagen den Himmelsstier Humbaba. Die erzürnten Götter lassen Enkidu siechen bis in den Tod.

Heldenreise bis ins heutige Hollywood

Gilgamesh zieht allein weiter, und sein Prinzip der Heldenreise zieht sich durch bis ins heutige Hollywood. Am Ende muss Gilgamesh die Unausweichlichkeit des Todes erkennen und dass es darauf ankommt, sich dem täglichen Tag zuzuwenden, der Verantwortung, den Pflichten, ja, eine Familie zu gründen und, wie Spötter einwenden könnten, „ein Philister zu werden so gut wie die anderen auch“.

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Das alles erzählt Regisseur Roger Vontobel im Zirkuszelt auf dem Corneliusplatz, in das die Bühne angesichts der ewig und drei Tage dauernden Sanierung des Stammhauses am Gründgensplatz ausweichen muss. Monumentale Buchstabentrümmer rechts und links und hinten auf der Bühne von Claudia Rohner erinnern daran, dass das Epos, das Raoul Schrott 2008 neu ins Deutsche übertragen hat, nur in Bruchstücken überliefert ist. Man ahnt, dass sie „Uruk“ ergeben. Ist aber auch subtil daran erinnert, dass die Zivilisation derzeit nirgends so gefährdet erscheint wie an dieser Wiege.

Ein rundum sinnlicher Abend

Zwischen den Trümmern eine dreiköpfige Band, die den Abend mit Düsterrocksounds begleiten wird; es gibt wilde Tanz-Choreografien im wegspritzenden Wüstensand, der immer mal wieder mit Wasser in Schlamm verwandelt wird. Die Jäger, Huren und Chorsänger schmieren sich Kopf und Oberkörper mit weißer Farbe ein, übergießen sich später mit grüner oder schwarzer, bis Haut und Haare schließlich von Urschleim im Tarnfarbenmuster triefen. Der Eindreiviertelstunden-Abend kommt also rundum sinnlich daher. Und er bringt ein Wiedersehen mit Schauspielern wie Minna Wündrich und Florian Lange, die von Bochum nach Düsseldorf wechselten, oder Michaela Steiger, die vom Münchner „Resi“ an den Rhein zurückkehrt und als göttliche Mutter Gilgameshs wie eine Conférencieuse im Glitzerkleid durch den Abend führt, auch dies eine gelungene ironische Brechung.

Zum umjubelten Mittelpunkt des Abends wird allerdings Christian Erdmann in der Titelrolle, den Intendant Winfried Schulz aus Dresden mitgebracht hat. Und in der Tat gibt Erdmann dem Haudrauf und Abenteuer-König alle Facetten, die aus diesem herabgestiegenen Halbgott einen ganzen Menschen machen, Kraftkerl und feinnervig zugleich.

Extralang anhaltende Ausschläge auf dem Applausometer. Düsseldorf darf wieder auf Holz klopfen.