Feuerscheid. Gerbrand Bakker ist Landschaftsgärtner und Schriftsteller – die Natur mag er aber gar nicht so sehr. Ein Besuch in seiner Wahlheimat, der Eifel.

Der weite Himmel, der erdige Matsch des Polderlandes, die salzig-würzige Luft: Die typisch niederländische Landschaft grundiert die berührenden Romane Gerbrand Bakkers, von „Birnbäume blühen weiß“ bis „Oben ist es still“. In seiner Heimat gilt der 54-Jährige – im Zweitberuf bis vor kurzem noch Landschaftsgärtner – als der große Naturdichter der Gegenwartsliteratur. Mit wem also könnte sich trefflicher sprechen lassen über ländliche Sehnsüchte und über den freien Geist, der erst unter freiem Himmel sich entfaltet? Nein, mit Gerbrand Bakker keinesfalls: „Ich mag die Natur“, sagt der 54-Jährige und zieht noch einmal kräftig an seiner Selbstgedrehten, „nicht so sehr gerne“.

Erzählen wir also die Geschichte eines Missverständnisses.

Wer Gerbrand Bakker heute besuchen möchte, muss in die Eifel fahren. Muss irgendwann hinter Prüm links ab, den Berg kurvig hinunter, den Wolfsbach queren und steht dann in Feuerscheid vor dem kleinen Häuschen, das Bakker seit knapp vier Jahren sein Eigen nennt: „Ich habe damals den Garten gemacht für Freunde aus Haarlem, die hier ein Haus gekauft hatten, und mich sofort verliebt.“ Auch Bakkers Nachbarn sind, sofern die Häuser nicht leerstehen, Holländer; das hat mit den günstigen Preisen zu tun und vielleicht auch mit hiesigen Hügeln.

Autobiografische Schrift „Jasper und sein Knecht“

Dass er selbst eher Kontakt hält zu den Einheimischen und ohnehin am liebsten allein mit seinem Hund Jasper durch die Wälder geht, davon erzählt seine autobiografische Schrift „Jasper und sein Knecht“. Ein Eifeljahr voller Rückblicke hat Bakker festgehalten und am Ende einen dramatischen, unerwarteten Abschied: Denn der Hund Jasper, der schwierige, treue Begleiter, hat ihn verlassen; seine Asche liegt jetzt unter dem Birnbaum im Garten.

Aber auch am Anfang steht ein dramatischer Abschied, am Anfang von Gerbrand Bakkers Lebensgeschichte. Sein kleiner Bruder starb, mit nur zwei Jahren ertrank er im Teich hinterm Bauernhaus der Familie. Da war Gerbrand Bakker gerade sieben. „Von dem Moment an hat, denke ich, das Verdrängen angefangen: Die Idee, ich bin nicht dabei. Wahrscheinlich bin ich deshalb Schriftsteller geworden, mein ganzes Leben war ich an der Seitenlinie, der Beobachter. Ich finde das eine gute Stelle für mich.“

Der Versuch einer direkten Aufarbeitung

Hat er schon in den Romanen über sich selbst geschrieben, über die Einsamkeit, die Unsicherheit, die Wut, so ist das Tagebuch nun der Versuch einer direkten Aufarbeitung. Denn schon seit Kindertagen, ahnt Bakker heute, leidet er an Depressionen. „Es gab damals komische Sachen, Zwänge, Ängste – meine Theorie ist, dass einen solche Dinge quälen, damit man das eigentliche nicht spürt: die Depression.“

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Mit über 50 Jahren einen Namen zu haben für die Wand, die zwischen ihm und der Welt steht, das war eine Erleichterung. In den Niederlanden wurde sein Buch, diese eigenwillige Mischung aus Familienchronik, Krankengeschichte, Literaturbetriebsklatsch und Eifelpanorama, begeistert aufgenommen: „Es gibt so viele, die an dieser Krankheit leiden.“ So viele, die ihm nachfühlen, wenn er schreibt: „Die Ungenauigkeit, die Klischees, die Unfähigkeit von Wörtern, Gefühle einzufangen... Ich bin wütend, rasend manchmal, ich bin nichts, versuche, nichts zu sein, ich schneide stundenlang Unkraut mit einer Rasenschere, ich bin allein, ich bin ein Zwei-Gläser-Weißwein-Trinker.“

Ist es nicht wunderbar, fragt Bakker, dass es Tabletten dagegen gibt, Tabletten, die der „natürlichen“ Disposition mit Chemie zu Leibe rücken? „Ich bin jetzt nicht glücklich, aber zufrieden. Das ist sehr viel.“

„Schreiben heißt, sich Dinge einzubilden“

Auch die Menschen, die in Bakkers Romanen auf dem Land leben, fern vom städtischen Stress, sind nicht glücklich. „Wer in der Stadt lebt, romantisiert das Land. Aber die Menschen hier sind wie überall sonst.“ Dass er nun in der Eifel lebt und über die Eifel schreibt, ist neu; bisher entwarf er die Bauernhäuser seiner Romane in der Schreibstube in Amsterdam: „Vielleicht schreibt man eher darüber, wo man nicht ist. Schreiben heißt, sich Dinge einzubilden.“

Am Ende gehen wir in den Garten, ein steiler Hügel, auf Terrassen stehen Johannisbeersträucher, Brombeeren zwischen Holzskulpturen, die Bakker als Vogelhäuser gebaut hat. Um den Garten ist ein Zaun. Damit der Hund nicht auf die Straße lief? Nein, sagt Bakker, der Zaun sei für ihn selbst: „Ich liebe Zäune und Hecken. Nicht, um Leute auszusperren. Sondern als eine Begrenzung, als Schutz – für mich.“