Unna. . Eigentlich kein besonderes Pflaster für Übeltäter, allenfalls auf dem Papier. Wie der Hellweg zu Deutschlands wichtigster Mördermeile wurde.

Gesucht wird ein „Mörder ohne Gesicht“. Ein altes Bauernpaar ist auf seinem Hof ermordet worden. Das Motiv der Tat liegt völlig im Dunkeln, deren Brutalität irritiert die Polizisten… So beginnt Henning Mankells erster Krimi mit Kurt Wallander – ein Bestseller.

So geschockt wie seine schwedischen Kollegen ist auch Polizeiwachtmeister Manfred Such. In einer Augustnacht wird er zum Landgasthof in Unna-Lünern dirigiert. Überfall bei „Onkel Albrecht“ lautet die kurze Info. Am Tatort erwartet den jungen Polizisten Finsternis und eine gespenstische Stille. Am Fachwerkhaus lehnt eine Leiter. Der Beamte wagt sich vorsichtig ins Haus, tastet sich vor ins Treppenhaus nach oben. Dann sieht er nur noch rot, nur noch Blut…

Der Doppelmord in der Gaststätte am Hellweg – Onkel Albrecht und seine Schwester Lina wurden mit Schüssen niedergestreckt – war keine Fiktion. Das alte Paar wurde Opfer der brutalen Bande um Petras Dominas, die bei ihren Raubzügen im Ruhrgebiet über Leichen ging. Letztich aber führten die Spuren in Unna zu Dominas‘ Verhaftung und zum „Lebenslänglich“.

Der „Mord am Hellweg“ rauschte damals durch den Blätterwald. Das Verbrechen ist allerdings auch schon 52 Jahre her. In der Kriminalstatistik spielt der Kreis Unna seit Dominas keine beunruhigende Rolle mehr. Krimistar Henning Mankell kam 2008 an die B 1 und holte sich beim Festival „Mord am Hellweg“ den ersten Europäischen Preis für Kriminalliteratur ab, den sogenannten „Ripper Award“. Seitdem sind 21 Tötungsdelikte erfasst – so viel wie in Dortmund in einem Jahr. „Mehr Tote gibt’s eindeutig im Straßenverkehr“, sagt Kim Freigang, Sprecher der Polizei Dortmund, die bei Bedarf die Mordkommission für die Nachbarn bildet.

Morde im schönen Schwerte

Heißt: Die Wahrscheinlichkeit, im schönen Schwerte einem Serientäter zum Opfer zu fallen, ist zwar deutlich größer als ein Sechser im Lotto, aber doch so berechenbar wie ein Horst Seehofer als Ehrenvorsitzender von Pro Asyl. Stellt sich die Frage, warum sich ausgerechnet am Hellweg eine so lange Blutspur zieht. Die Antwort erfordert keine langen Ermittlungen: Das Krimispektakel entspringt der Fantasie. Ideengeber und Festivalmacher Sigrun Krauß (Kulturchefin Stadt Unna) und Dr. Herbert Knorr (Leiter Westfälisches Literaturbüro) bemühten Ende der 1990er-Jahre außerdem die nordisch-germanische Mythologie. Die sah den „Helvegr“ als Totenweg, auf dem die Leichen transportiert wurden. In der Silbe Hel, so die nächste Vermutung, spiegele sich der Name der Höllengöttin.

Eine Herrscherin der Unterwelt und eine Straße, die ins Jenseits führt: Das sollte reichen für Nebulöses und Nervenkitzel! Erfunden war das Festival „Mord am Hellweg“. Viele Anrainerstädte bilden eine Gemeinschaft, das Genre Krimi die Klammer. Das literarische Morden pflegt die regionale Verbundenheit. Auch die internationale Szene bringt Spannung in die (vermeintliche) Provinz.

Berühmte Gäste von Mankell bis Adler-Olsen

So durfte sich nach dem Schweden Henning Mankell Landsmann Håkan Nesser über den „Ripper Award“ freuen, es folgten die Französin Fred Vargas und der dänische Krimistar Jussi Adler-Olsen. In diesem Jahr ist die deutsche Krimilady Ingrid Noll nominiert, außerdem Bestsellerautor Arnaldur-Indriða­son (Island), Jo Nesbø (Norwegen) und der deutsche Thrillerspezialist Sebastian Fitzek. Alle kommen zum Festival und schlagen ihre Bücher auf.

Der Europäische Preis für Kriminalliteratur ist übrigens mit 11 111 Euro dotiert. Das dürfte ungefähr der Summe in D-Mark entsprechen, die Petras Dominas in Onkel Albrechts Matratze vermutete.

„Mord am Hellweg“ (17.9.-17.11.) ging 2002 an den Start. Seitdem lockt das Festival alle zwei Jahre die Créme de la Crime in die Region – von Lünen bis Lüdenscheid, von Witten bis Wickede, von Bönen bis Bad Sassendorf: www.mordamhellweg.de

  • Mehr als 400 nationale und internationale KrimiautorInnen sowie Künstler und Musiker gestalten rund 200 Veranstaltungen an außergewöhnlichen Orten.

  • Zum Festival ist wieder eine Anthologie mit literarischen Morden im Veranstaltungsgebiet erschienen: „Glaube.Liebe.Leichenschau“, Mord am Hellweg VIII, Kriminalstorys, grafit Verlag, 12 Euro.