Bochum. Rad-Artist Jonas Berndt lässt die Zuschauer bei seinen Tricks und Sprüngen glauben, dass die Schwerkraft für ihn und sein Bike nicht gilt.

Wenn Jonas Berndt in die Pedale tritt, scheint die Schwerkraft keine Rolle mehr zu spielen. Für Sekundenbruchteile zieht ihn nichts mehr Richtung Boden, wo er unter Umständen einen harten Aufprall erleben könnte. Er schlägt mit seinem Rad einen Salto, er löst sich im Sprung vom Sattel und hält sich nur am Lenker fest, er dreht das Rad unter seinem Körper, lässt es so aussehen, als würde er waagerecht an der Wand entlangfahren – und kommt doch wieder perfekt zum Sitzen. Wer so mit dem Rad umgehen kann, wie Berndt es im Bochumer Open Space für uns demonstriert, hat viele tausend Stunden damit zugebracht, es so zu beherrschen.

Wenn der Überschlag zum Alltag gehört

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    Heute ist Jonas Berndt 23 Jahre alt. Mit elf hat er begonnen, eine unglaubliche Leidenschaft fürs Rad zu entwickeln. „Das war damals bei meiner Oma im Wald. Da habe ich gesehen, dass die Jungs sich Sprungrampen gebaut haben. Ich habe damals zu meiner Mutter gesagt: Ich brauche auf jeden Fall so ein Fahrrad und ich muss zu meiner Oma ziehen. Aber sie hat gesagt: Nein, das gibt’s auch hier in der Stadt. Und wie man sieht: Das gibt’s auch hier.“

    Seit 2009, da war Berndt gerade 17, gehört er zu den Urbanatix, jener Gruppe aus Streetartisten, die einmal im Jahr für eineinhalb Wochen die Bochumer Jahrhunderthalle mit ihrer neuen Choreographie dazu bringt, den Atem anzuhalten. Hier treffen Radfahrer, Tänzer, Skater, Trampolinspringer und viele andere Artisten aufeinander und erschaffen eine urbane Kunstshow mit oft unglaublichem Körpereinsatz. Und wenn dann einer durch die Lüfte springt, als gäbe es in dieser Welt keine Knochenbrüche, dann könnte das Jonas Berndt sein.

    Mountainbiker Jonas Berndt hat mit elf Jahren seine Leidenschaft fürs Rad entdeckt.
    Mountainbiker Jonas Berndt hat mit elf Jahren seine Leidenschaft fürs Rad entdeckt. © Lars Heidrich

    „Ich gehöre zur Fahrradshow, die aus zwölf Bikern besteht. Wir haben eine Choreografie von sechs Minuten, in denen macht jeder seine Stunts und seine Tricks. Im Lauf des Auftritts steigern sich die Tricks. Und am Ende machen wir alle hintereinander einen Salto“, erzählt Berndt.

    Die Konkurrenz ist sehr groß

    Eineinhalb Wochen Show pro Jahr, das klingt ja vermeintlich nach einem lockeren Arbeitsleben, auch wenn man natürlich möglichst oft trainieren muss. Aber so einfach ist das natürlich nicht. Kann man als Bike-Artist also wirklich seinen Lebensunterhalt bestreiten? „Professionell in dieser Branche zu arbeiten, ist ziemlich schwierig. Weil die Konkurrenz sehr groß ist und man das Alter als Limit hat. Mit 35, 40 wird’s schwierig, diese Sportart auszuüben, weil dann auch die Muskulatur und Knochen nicht mehr so mitmachen. Deswegen muss man sich noch anderweitig orientieren oder sehen, dass man anders in der Branche bleibt. Aber generell kann man damit seinen Lebensunterhalt bestreiten.“ Auch dadurch, dass man an Turnieren teilnimmt und Preisgelder gewinnt wie bei der FMB World Tour, bei der sich die Freeride Mountain Biker untereinander messen.

    Abgehoben und völlig losgelöst: Bei diesem Sprung sieht es aus, als würde Jonas Berndt sein Rad in der Luft verlieren. Doch er findet zurück in den Sattel.
    Abgehoben und völlig losgelöst: Bei diesem Sprung sieht es aus, als würde Jonas Berndt sein Rad in der Luft verlieren. Doch er findet zurück in den Sattel. © Lars Heidrich

    Für den durchtrainierten, hochgewachsenen jungen Mann steht dieser Sport ganz weit vorn auf der Prioritätenliste, auch wenn er noch studieren möchte. „Ich trainiere so oft es geht, mindestens jeden zweiten Tag. Und sobald ich zwei Wochen in Urlaub war und wiederkomme, geht das direkt an die Kondition. Das Training bei den Fahrradfahrern ist allerdings nicht so, wie man es sich bei Leistungssportlern vorstellt. Also nicht so, dass man sich zusammen aufwärmt und an ein Gerät geht. Es ist mehr so: Sich treffen, Spaß haben, Jam-Sessions, dass man halt miteinander kommuniziert und zusammen Freude hat.“ Ein gehöriges Maß an Coolness und Entspanntheit gehört trotz des artistischen Ehrgeizes auch dazu. Berndt fährt kein normales Rad, sondern ein Dirt Jump Bike, ein Rad mit Federgabel und nur einem Gang, das sehr handlich und auch im raueren Gelände gut einsetzbar ist.

    Das Open Space, wo Berndt trainiert, liegt direkt in Nähe der Jahrhunderthalle und ersetzt für die Urbanatix die ehemalige Kirche, in der die Artisten vorher untergebracht waren. Es ist, wie der Name schon sagt, ein offenes Konzept, bei dem sich die Artisten gegenseitig inspirieren und Workshops geben auch für Außenstehende. „Es heißt bei uns: each one teach one, also jeder bringt jedem etwas bei. Weil hier ganz unterschiedliche Disziplinen aufeinandertreffen: Tanz, Radfahren, Trampolin, Parcour. Normalerweise bleibt sonst ja jeder in seinem eigenen Bereich.“ Hier verschmelzen die Fähigkeiten der Künstler schon beim Training manchmal zum Gesamtkunstwerk.

    Ein Restrisiko bleibt

    Trotz aller Schutzmaßnahmen wie dem Helm und den Schonern für die Knie, die Schienbeine und Gelenke lässt sich das Risiko natürlich nicht ganz ausschließen. „Klar, meine Sportart ist gefährlich. Aber man weiß ja, was man tut. Und man lernt das auch von klein auf. Das Extremste an dem Job sind die Höhen und die Distanzen. Und die Gefahr, dass man stürzt. Wenn man das im Hinterkopf hat, ist das manchmal schon eine extreme Belastung“, sagt Berndt.

    Er selbst ist bisher erst einmal schwerer gestürzt und hat sich dabei den Arm dreifach gebrochen – eine monatelange Pause war die Folge. Auch wenn das schon länger her ist, bleibt es natürlich im Gedächtnis. „Wenn man gestürzt ist und deshalb draußen war, fühlt man sich ein bisschen fremd auf seinem eigenen Rad. Und dann hat man auch noch diese Kopfblockade, die einem sagt: Das ist passiert, das kann noch mal passieren. Aber das überwindet man, weil ja der Bock aufs Fahrradfahren grundsätzlich größer ist.“