An Rhein und Ruhr. Maren Ades Komödie zeigt die herzzerreißend komische Annäherung von Vater und Tochter, liefert bemerkenswerte Zeitdiagnostik und Schauspielkunst.

Falsche Zähne, falsche Haare, falsches Benehmen – Entschuldigung, aber billiger geht es doch gar nicht, wenn man Lacher ernten will. Die erste gute Nachricht: Ja, das mit den Lachern klappt großartig in Maren Ades drittem Film „Toni Erdmann“. Die zweite Nachricht ist: Wann immer wir in diesem Film lachen, lachen wir über uns selbst und unser falsches Leben im Wahren.

Denn womöglich wird man in einigen Jahren „Toni Erdmann“ genauso als Dokument des realen Irrsinns unseres Alltags betrachten wie man heute Loriots Familie Hoppenstedt als erschreckend echte Diagnose der Bonner Republik sehen kann.

Keine Bange, Kinofreunde, man muss Toni Erdmann nicht mit soziopsychologischem Handgepäck besuchen. Die Geschichte ist erst einmal einfach verrückt: Peter Simonischek spielt Winfried Conradi, einen an der Gegenwart und ih­rer Technik verzweifelnden Musikpädagogen um die 60, der aus der Sorge um Hund, Mutter und entfremdeter Tochter sich mit Perücke, Zähnen und schrägem Humor in seine Kunstfigur „Toni Erdmann“ flüchtet.

Mit Lust in den nächsten Fettnapf

Wer so einen Vater hat, der ständig mit Lust in die nächsten Fettnapf stapft, muss dessen Nähe meiden, um keinen Spritzer abzubekommen. Insofern betrachtet Ines Conradi (Sandra Hüller) ihren Vater in der ersten Szene mit Blicken, als gelte es ein exotisches Erdferkel zu taxieren.

Überhaupt: Um die schauspielerische Glanztat von Peter Simonischek und Sandra Hüller zu würdigen, reicht es schon, ihre Blicke zu verfolgen: Wie sie einander mustern, abschätzen, irgendwann anfangen sich zu sehen und dann sogar: einander wieder wahrzunehmen. Dazu, und vor allem zur Selbst-Wahrnehmung kommt Ines Conradi kaum: Schließlich muss sie als Unternehmensberaterin performen. Immer und überall sich und die Leistungen ihrer Firma makellos verkaufen. Und das geht nur, in dem sie sich auch persönlich einbringt, selbst ihren Geburtstag zum Event fürs Geschäft macht.

Zu diesem Zeitpunkt verfolgt Toni Erdmann sie bereits wie ein Geist, der stets das Gute will und das Chaos stiftet. Im zerbeulten Anzug und mit Jutebeutel reist er ihr hinterher nach Rumänien, gefährdet ihr Geschäft als angeblicher Mentalcoach und Freund von Tennismanager-Legende Ion Tiriac. Er wird im Geschäftsbetrieb ums Karpatenöl und die geplante Arbeitsplatzvernichtung dort zur lebenden Zeitbombe. Deren Explosion würde Ines Conradi zurück reißen in das, was früher mal Leben hieß und in unserer Zeit als Authentizität längst zu einer eigenen Währung geworden ist.

Kunstvoller Pas de deux

So bewegen sich Vater und Tochter wie in einem Pas de deux langsam und kunstvoll aufeinander zu: Hier der Erdmann, der sich den Zumutungen des heutigen Lebens entzieht durch sein albernes Rollenspiel. Und dort die Ines, der die Rolle der unbefleckten Businessfrau (dazu gibt es eine der schrägsten Sexszenen der Kinogeschichte) selbst noch auf den nackten Leib geschrieben ist, so dass sie sich selbst kaum noch wahrnimmt.

So zeigen Vater und Tochter zwei Wege zurück ins Leben diesseits der Performance: Seine Rolle so albern spielen, dass es peinlich ist. Oder so peinlich aus der Rolle fallen, dass wir als Mensch wahrgenommen werden müssen. Einen authentischeren Film als über unsere Lebenswelt als „Toni Erdmann“ gibt es derzeit nicht. Herzzerreißend komisch.