Essen. Es ist ein Literarischer Lauschangriff. Autor Saša Stanišić braucht nur wenige Sätze, um die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion vergessen zu machen.

Fürstenfelde wird jetzt heimgesucht von Literaturtouristen, seit der Schriftsteller da war, „der mit dem Buch über uns“ – „ein Jugo war das. Aber ein verweichlichter Jugo, ganz ungewöhnlich. Jugo-Schriftsteller halt.“ Seit er da war, heißt Torsten jetzt Ulli, weil er auch im Buch so hieß. Und Lada schreibt Dinge auf in einem Notizbuch, „wie so ein Opfer“. Dafür tickt er nicht mehr ganz so schnell aus, der Lada.

Wenige Sätze benötigt Saša Stanišić, um die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion vergessen zu machen und seine Leser hineinzuziehen in den höchst authentischen Kosmos eines brandenburgischen Dorfes, den er mit dem Roman „Vor dem Fest“ doch selbst geschaffen hat. Einen Preis hat der Roman bekommen, wissen sie in Fürstenfelde (im echten Leben: den Leipziger Buchpreis) und deshalb ist Fürstenfelde eine weitere Erzählung wert: „Es ist Zeit vergangen, seit du da warst. Jetzt gibt’s wieder was zu erzählen. Jetzt ist der Fallensteller da.“

Die Erzählung „Fallensteller“ nimmt den weitesten Raum ein in Stanišićs gleichnamigem Band; ein Stück Heimat und Nachhause­kommen für seine Leser. Die vorangestellten Texte aber beweisen, wie ungeheuer virtuos Stanišić mit seinen dem Leben abgelauschten Erzählstimmen zu spielen versteht.

Wärmende Decke nervigen Geplappers

Gleich dreimal begegnen wir einer oberschlauen Ich-Erzählerin und ihrem Freund Mo: Sie gesellen sich zu christlichen Menschenrechtsaktivisten auf einem Rheinfloß, besuchen in Stockholm eine Vernissage und klauen ein Gemälde einer surrealistischen syrischen Malerin namens Alima; „ehrlich gesagt haben Mo und ich die Namen vergessen, das sind symbolische arabische Namen aus dem Internet“. Es geht um das Gut-Sein-Wollen und die Welt-Checken-Wollen; über das Scheitern an diesem Wollen legt Stanišić die wärmende Decke nervigen Geplappers – kunstfertig, großartig. Einen weiteren Dreiklang bilden die Geschichten um den Justiziar Georg Horvath, der sich zwischen Brasilien und Bukarest selbst abhanden kommt, bis er keine Worte mehr hat für die Dinge, die er sieht, und sich ihm fremde Worte aufdrängen. Als „kafkaeskul“ und „groteskul“ beschimpft er einen Taxifahrer und merkt zu spät: „das Kafkaeske!“ hat er da geschrien.

Saša Stanišić, in Bosnien geboren und mit 14 Jahren vor dem Bürgerkrieg nach Heidelberg geflohen, hat spät Deutsch gelernt. Seine ersten Werke beschäftigten sich mit den Erfahrungen von Krieg und Flucht. Grundfalsch aber wäre es, die Virtuosität und melancholische Komik seiner Sätze als Zweitsprachenphänomen abtun zu wollen. In einem Essay über das Dasein als migrationserfahrener Literat in Deutschland hat Stanišić das Schreiben selbst als Fremdsprache bezeichnet: „Für jede Geschichte, jedes Theaterstück, jedes neue Werk muss ich eine neue Sprache lernen.“ Nur ist diese Art des nach außen und nicht nach innen gerichteten Lauschens selten geworden in Zeiten, in denen der „eigene“ Ton alles gilt.

Gründesuchen, Generationen und Gruppen

Was Stanišić selbst von dem Gründesuchen, den Zuordnungen zu Generationen und Gruppen hält, das verrät uns der „Fallensteller“. Am Ende nämlich hat Lada, der opfermäßige Aufschreiber, einen Preis gewonnen, und es heißt: „Robert Lada Zieschke komponiert in seinem rasanten Milieustück eine Sinfonie der Provinz jenseits der großen Themen und abseits des Mainstreams. Die originelle Musikalität der Sprache sucht ihresgleichen in seiner Generation, was sicherlich damit zu tun hat, dass Zieschke ein Autor mit Provinzhintergrund ist.“

Saša Stanišić aber ist, egal vor welchen Hintergrund man ihn stellt, einfach ein himmlisch guter Erzähler.

Saša Stanišić: Fallensteller. Luchterhand, 288 S., 19,99 €