Recklinghausen. Sklave englischer Sprache, Desinteresse an Dichtung: Theatermacher Claus Peymann stellt unseren Bühnen kein gutes Zeugnis aus.

Wer sich einen Claus Peymann zum Gratulieren einlädt, darf keine Blumen erwarten. 70 Jahre Ruhrfestspiele: Peymann, 79, hält eine Rede übers Theater und was ihm fehlt. Predigerstunde („Ich komm’ mir vor wie das ,Wort zum Sonntag’“), wütender Spaß, Levitenlese mit Luftschlangen im schwarzen Sakko.

Zu bestaunen ist ein Peymannsches Dramolett, das mit einem stummen Schrei beginnt. Pantomime aus Verzweiflung: Wie sagen, wie schlimm es steht um deutsche Bühnen? Dann den Rücken zum Publikum, Bach lauschend. Peymann: „Eine Bearbeitung, aber wiedererkennbar.“ Auch darum geht es (nach Brecht): „Modern ist veraltet.“ Acht Positionen des Auftritts im Festspielhaus, den Peymann listig eine „testamentarische Verfügung“ nennt, im Wortlaut:

Literatur in Gefahr

Die Literatur, d i e Basis für unser europäisches Theater, tritt zurück. Die Stücke werden nicht mehr gespielt, dafür wird jeder zweite Roman dramatisiert, jedes Filmdrehbuch. Das Vertreiben der Literatur aus dem Theater ist vielleicht unsere größte Gefahr. Meine Regie-Kollegen glauben, dass sie selbst die größeren Dichter sind. Eine bedrohliche Fehleinschätzung.

Geheimnis in Gefahr

Wenn jemand Richard III. spielt, glaubt man heute nicht mehr, dass das Richard III. ist. Der Schauspieler macht stattdessen Witze über Richards Messer: „Oh, Schiete, das is’ ja nich’ scharf“: Die Leute lachen, aber er denunziert seine Figur. Eine gefährliche Tendenz. Unsere eigentliche Waffe ist doch das Geheimnis der Verwandlung.

Die Abschaffung des Könnens

Es gibt die Schauspieler nicht mehr, die so sprechen können, dass man sie auch in der letzten Reihe des Burgtheaters versteht. Es ist eine Katastrophe, dass junge Leute in der Schauspielschule nicht einmal mehr sprechen lernen. Sie lernen den Umgang mit Mikroports. Wir werden verwechselbar mit dem Fernsehen. Wir geben unsere Einmaligkeit als Theaterleute auf.

Lob der Provinz

Theaterkunst kommt aus der Provinz. Shakespeares Theater ist Stratford. Ich wollte immer Theater für Leute zu machen, die danach mit dem Auto nach Hause kommen. Vor Ort für Leute Theater zu machen, die dort wohnen, gilt als unschick. Stattdessen gibt es Truppen, die heute in New York, nächste Woche in Paris spielen. Theater braucht aber einen zuständigen Ort, aus dem produziert wird wie aus einer Familie. Globalisierung ist der Tod des Theaters.

Die Sucht nach Neuem

Journalisten haben das Theater längst aufgegeben, die Theaterberichterstattung ist völlig minimalisiert. Sie funktionieren nur noch, wenn sie etwas für völlig neu halten. Die Theater sind selber schuld. Kürzlich lobte der Chef des Theatertreffens: „Keine einzige Aufführung ist vom Blatt gespielt!“ Ja, wozu sind denn die Blätter da? Sagen Sie das mal Simon Rattle!

Theatermuseum! Na und?

Manche sagen, mein Theater sei ein Museum. Und? Früher stand über Theatern „Dem Wahren, Guten, Schönen!“ Ist das altmodisch? Verbreiten Sie mal die Wahrheit! Fragen Sie nach dem Guten! In der Politik, in der Gesellschaft! Diese Vision von Kunst ist unendlich wichtig in einer Gesellschaft, in der die ethischen Positionen vollständig kaputtgegangen sind.

Sprache und Imperialismus

Ist Imperialismus, wenn Sowjet-Panzer bis an die deutsche Grenze stehen? Nein, Imperialismus ist, wenn die eigene Kultur flöten geht. Jedes zweite Stück auf deutschen Spielplänen hat einen englischen Titel. Wir machen uns zu Sklaven, wir finden es schick, wenn die Internetsprache deutsche Bühnenbestimmt. Wenn wir so weitermachen, wird das Deutsche ‘ne Zwergensprache. Wir sind Deutsche durch Sprache, nicht durch Krupp oder die Bild-Zeitung.

Zu den aktuellen Ruhrfestspielen

Diese Themengeschichten gefallen mir nicht: Mittelmeerraum oder südliche Ostsee. Vielleicht nehmen Sie sich mal das östliche Westfalen vor! Für jeden etwas: Das wird beliebig, das ist nicht unbedingt zukünftig. Aber mein Kompliment, dass immer noch die besten Schauspieler hierher kommen.