Im Emschertal. . 24 Werke, verteilt auf 50 Flusskilometer: Die Emscherkunst feiert alle drei Jahre die Rückverwandlung der einstigen Abwasserkloake des Reviers in einen Fluss.

Ein echter Souvenir-Kiosk aus Venedig in Dortmund, ein Fäkalien sprühender „Abwasserbrunnen“, ein Film über das verbotene Schwimmen im Phönixsee – ab heute ist wieder Emscherkunst. Das Festival, das alle drei Jahre die fortschreitende Rückverwandlung der einstigen Abwasserkloake des Reviers in einen Fluss feiert, erstreckt sich diesmal für 100 Tage von der Emscherquelle im ländlich-beschaulichen Hixterwald bei Holzwickede bis zum Emscherhafen an der Stadtgrenze zwischen Herne und Recklinghausen.

Die 24 Kunst- und Landschaftsinstallationen sind verteilt auf sieben Stationen (siehe Karte). Als zügigste Verbindung zwischen den insgesamt sieben Kunststationen am Oberlauf des Flusses eignet sich der Radweg. Deshalb hat die Emscherkunst in diesem Jahr auch eine 98 Seiten starke „Kunst- und Radkarte“ herausgegeben, Tourenvorschläge inklusive (9 Euro).

Ein Kristallisationspunkt ist der Dortmunder Phönixsee. Der im wahrsten Wortsinne verrückte Kiosk aus Venedig, der 30 Jahre nahe am Markusplatz stand, verkauft feinsten Venedig-Kitsch, Made in China, Ballotelli-Trikots und Glitzergondeln – der Münchner Benjamin Bergmann möchte die Besucher damit vor allem stutzig machen. „Und vielleicht stammt der Stahl in dem Nippes ja aus dem Phoenix-Werk in China“, zwinkert er. Ebenfalls von hohem Unterhaltungswert: Der halb dokumentarische Film von Erik van Lieshout über die Insel im Phönixsee und die mitunter verzweifelten Annäherungsversuche des niederländischen Künstlers. Er ist in einem noch leeren Ladenlokal am See zu sehen.

Raupenförmiges Gewächshaus

Ein faszinierendes Kreislauf-Experiment beherbergt die „Urban Space Station“ von Natalie Jeremijenko aus Australien, ein raupenförmiges Gewächshaus aus Folie, das die Abwärme umliegender Häuser aufnimmt und dessen Pflanzen mit einer Nährlösung aus einem Fischteich mit Graskarpfen gespeist werden – ein Jahrhunderte altes Verfahren, das schon die Khmer in ihren Reisfeldern anwandten.

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Lucy und Jorge Orta wiederum haben viel mit den Menschen aus Hörde geredet, über die Vergangenheit mit Kohle und Stahl und über die Zukunft mit Ängsten und Sorgen – aus ihren Gesprächen erwuchsen die beiden Skulpturen „Geister des Emschertals“ aus glänzendem Aluminium: Hier stehen drei Jugendliche übereinander, dort eine Frau mit Flügeln, und ihre realistische Figürlichkeit wird sie bei Besuchern beliebt machen.

Über den Klimawandel grübeln

Experimenteller kommt dagegen das „Arca“-Schiff von den Münchnerinnen Verena Seibt und Clea Stracke daher, das von Station zu Station wandern wird und die Emscherkunst-Besucher zur Kunstproduktion animieren soll – als Expeditionsschiff, auf dem Farbensammeln, Wassermalerei und bedingungsloses Lauschen lehrt. Eins der Emscherkunstwerke, dessen Wirkung sich erst erweisen muss. Vergleichsweise zurückhaltend wirken etwa die 60 Wellenbrecher von je sechs Tonnen Gewicht, die Nevin Aladag am Hochwasserrückhaltebecken bei Dortmund-Mengede so verteilt hat, dass sie den Grundriss der Arche Noah nachzeichnen. Wer das weiß, wird auch angesichts der jüngsten Wetterereignisse in dieser Brache unweigerlich über den Klimawandel ins Grübeln kommen.

Abwasser unter die Erde bringen

Am Ende der Flussabwärts-Tour wartet schließlich der anrüchige „Abwasserbrunnen“ an einer Stelle, an der die Emscher noch Köttelbecke ist und auf ihre Renaturierung wartet. Das dänische Künstlertrio Superflex verbeugt sich am Stadthafen Recklinghausen/Herne mit einem schwimmenden dreischaligen Brunnen aus Aluminium, der aus dem Barock stammen könne und aus dem nun die braune Brühe sprudelt. Superflex will sich damit noch einmal vor dem „Dickdarm“ des Reviers verbeugen, bevor die Abwasser unter der Erde verschwinden und der Fluss aus seinem steinernen Bett befreit wird. Könnte glatt sein, dass diese Kunst noch Kult wird.