Essen. Wendungen hatte sein Leben mehr als ein Krimi. Sie spiegeln Bob Dylans Werden, aber auch das Jahrhundert, von dem er erzählt, wenn er singt.

Es wäre schon eine bittere Ironie, wenn erst Donald Trump US-Präsident werden müsste, damit sich das Komitee in Stockholm einen Ruck gibt und den Dauerkandidaten Bob Dylan mit dem längst verdienen Nobelpreis dekoriert – nur um das „andere“ Amerika zu preisen.

Dylan in einer Reihe mit Thomas Mann, Garcia Marquez und Samuel Beckett? Dass der Mann, der morgen vor 75 Jahren als Robert Allen Zimmerman zur Welt kam, in erster Linie ein Musiker sei, ist ein weit verbreiteter Irrtum. Er ist Dichter, und für seine Verse hat er sich eine Verbreitungsart gesucht, die klingt wie Popmusik. In Wahrheit aber macht Dylan dort weiter, wo Literatur stand, als sie noch nicht schriftlich weitergegeben wurde und aus Klang bestand.

Bob Dylan: Ein Homer des 20. Jahrhunderts

Man darf sich Bob Dylan als einen Homer des 20. Jahrhunderts vorstellen. Er war der erste Songschreiber, der seine Texte systematisch mit Rätsel-Prisen versah, mit Sperrwerken gegen allzugroße Gefälligkeit, Eingängigkeit. Dahinter steckt ein Kunstwille, der Popmusik erlösen kann von zu viel Banalität. Dylans systematische Sinnverwirbelung wurde prägend für Generationen von Musikern, selbst die gleichalten Beatles gingen bei ihm in die Schule.

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Dabei hatte Dylan alles andere im Sinn, als er mit 20 und dicken Backen als Gitarren-Bubi aus der Provinz durch New Yorks Künstlerhochburg Greenwich Village zog. „Blowin’ in the wind“ (1963) auf den Lippen, aber auch das Motto seines ewigen Hase-und-Igel-Daseins: „It ain’t Me Babe“, ich bin es nicht, oder mit Rimbaud, den er als Dichter ebenso verehrt wie seinen Namens-Paten Dylan Thomas: Ich ist ein anderer.

Damals, Anfang der 60er-Jahre, schien ein neuer Stern am Folk- und Protestsänger-Himmel aufzugehen. Doch Dylan griff 1965 zu E-Gitarre. Ein Sakrileg. Folk-Freaks beschimpften ihn bei Konzerten als „Judas“. Sie ahnten nicht, dass sie nur die erste Kehre einer Karriere erlebt hatten, die mehr Wendungen nehmen sollte als der beste Krimi.

Eine Stimme wie geraspelte Tabakkrümel

Unter anderem hatte der „Picasso des Songs“ (so der ebenfalls nicht ganz unbegabte Kollege Leonard Cohen) Anfang der 70er eine Country-Phase (und spielte in dem Western „Pat Garrett jagt Billy the Kid“ an der Seite von Kris Kristofferson, inklusive Soundtrack mit „Knockin’ on Heaven’s Door“); am Ende des Jahrzehnts stand ein christliches Erweckungserlebnis, das den Fans die schlechtesten Alben ihres Idols bescherte. Vom christlichen Fundamentalismus ist er wieder abgekommen, aber „Knockin’ on Heaven’s Door“ spielte er 1997 doch – vor Papst Johannes Paul II. und 300 000 Besuchern eines Kirchenkongresses in Bologna.

Dylan spielte eine erkennbare Version seines Klassikers. Üblicherweise versucht er auf den jährlich gut 100 Konzerten seiner „Never Ending Tour“ durch die Hallen dieser Welt, sein Liedgut jederzeit so neu klingen zu lassen, dass Anhänger sich mit heiterem Songraten vergnügen. Manchmal genügt es, wenn er seine Stimme erhebt, die immer mehr nach geraspelten Tabakkrümeln und Whiskyspülung klingt. Immerhin spielt er kaum noch mit dem Rücken zum Publikum. Aufzutreten, hat er mal gesagt, sei für ihn „wie atmen“.

Sein Privatleben hat Bob Dylan stets gut abgeschirmt, bekannt sind zwei geschiedene Ehen, ungezählte Affären sowie fünf bis sechs Kinder. Dylans intimste Momente sind ohnehin öffentlich, wenn er nicht etwa seine Songs spielt, sondern mit ihnen. Aber auch derer wird er mitunter müde. So nahm er, dem auch nach der Jahrtausendwende immer wieder große Würfe wie „Love and Theft” (2001) oder „Modern Times“ (2006) gelungen waren, vor zwei Jahren mit „Shadows in the Night“ ein Album voller Sinatra-Songs auf, was er nun mit „Fallen Angels“, bestückt aus dem American Songbook, fortgesetzt hat. Zum Standard-Repertoire dieses Kontinents gehören aber auch Dutzende von Dylan-Songs aus nunmehr 55 Karriere-Jahren, angeführt von „Like a Rolling Stone“, das die „500 besten Songs aller Zeiten“ anführt, wie sie das Fachorgan „Rolling Stone“ 2014 gelistet hat. Bob Dylan ist längst zum Chronisten Amerikas, und der gesamten westlichen Welt geworden.