Düsseldorf. .
Udo Lindenberg, nölende Nichtstimme auf zwei dünnen, aber trainierten Beinen, ab nächstem Dienstag 70 Jahre alt, ist wieder schwer gefragt. Der Geburtstag, die neue Platte, die als Buch verkleidete Liebeserklärung von Benjamin von Stuckrad-Barre („Panikherz“), die Stadiontournee ab nächsten Freitag – der Panik-Präsident hat eigentlich keine Zeit mehr für Interviews. Höchstens beim Joggen. Um Mitternacht. Jens Dirksen schnürte also die Laufschuhe und stellte sich im „Breidenbacher Hof“ an der Düsseldorfer Kö ein. Udo wollte sich allerdings erst einmal in der Raucherlounge der Nobelherberge warmquatschen. Ausgerechnet am einzigen Tisch ohne Aschenbecher. Streifte im Gespräch also laufend die Zigarre an der Tischkante ab.
Du warst Liftboy hier im Breidenbacher Hof...
Udo Lindenberg: ... und Aschenbecherputzer, ja...
... aber jetzt logierst Du in der Präsidenten-Suite. Ist das ein Triumph?
Sehr geil, ja! Ist auch angemessen. Als ich hier angeheuert habe, mit 15, wollte ich eigentlich Schiffssteward werden. Als ich neulich zum ersten Mal nach vielen Jahren wieder hierherkam, hat man mir gesagt: Du hast das gesungen „Ich mach mein Ding“ – hier ist die Präsidentensuite für Dich, mit Kaviar und Dosenbier.
Ein Traum?
Ja, der kleine Junge aus Gronau hatte genau solche Träume! Ich wollte Star werden, seit ich 12 war.
Egal wie?
Nee, nee, sollte schon was mit Musik sein. Ich hatte angefangen zu trommeln, autodidaktisch. Als ich nach Düsseldorf kam, hatte ich die Trommelstöcke dabei. Und hab nach Feierabend in den Jazzclubs in der Altstadt rumgelungert, gucken, ob einer ausfällt. Nach drei Monaten im Breidenbacher Hof hab ich mich rauswerfen lassen, weil eine Band mich haben wolle.
Und wann war Dir klar, dass Dir Schlagzeug nicht reicht?
Ich hab immer Texte geschrieben, so wie andere Tagebuch oder Poesiealbum. Und irgendwann hab ich gemerkt: Das müsste man singen! Und hab dann mit dieser Stimme aus dem Gully angefangen. Gerade das war das Geheimnis des Erfolgs. Das klang so wie einer von uns, der auch nicht singen kann. Aber der stellt sich auf die Bühne und lässt sich teuer beleuchten und tut so, als könnte er singen...
Mit einer Sprache, um die Du beneidet wurdest.
Ja, Easy-Sprache. Der „Spiegel“ hat neulich geschrieben, ich hätte die Republik easier gesungen, das hat mir sehr gefallen.
Neues Album, Stadiontournee – Du bist wieder ziemlich angesagt...
Was ich im Moment erlebe, ist ein ziemlich hohes Geschenk. Dass es jetzt nach 50 Jahren in der Branche so mörderisch abgeht, das ist ein großes Glück, echt! Ich wache jeden Morgen mit einem Lächeln auf dem Gesicht auf und kneif mich ’n bisschen. Wenn es nicht im echten Leben so gewesen wäre, hätte ich es so inszenieren müssen. Ist doch ne ordentliche Story: Der Cowboy fällt zwei, drei Mal vom Pferd und steht wieder auf. Jetzt reitet er allmählich in den Sonnenuntergang...
Oh, Rückzugspläne? Immerhin wirst Du am Dienstag 70...
Nee, eine Legende kann ja nicht in Rente gehen. Ich hab gesagt, ich mach weiter bis 100.
Und wie feiert die Legende den 70.?
Ich mache doch das ganze Jahr Party. Ich bin nicht so ‘ne Stechuhr, auf Kommando feiern und saufen. Wir werden am Dienstag proben für die Stadion-Show. Und haben ein paar Fans eingeladen, führen die auf die Bühne.
Da rumzuturnen hält ja fit, wie man an Mick Jagger sieht.
Nee, Du musst dafür fit sein! Deshalb jogge ich ja! Wenn 50 000 Leute auf Dich starren und Du nicht fit bist, hast Du schlechte Karten. Wenn Du anfängst zu schwitzen, es tropft in Dein Mikro rein und Du musst ne Ansage machen mit „Hechel, hechel“ – geht doch nicht!
Nach einer halben Stunde hat Udo vom großen Weizenbier (alkoholfrei! Elektrolyte!) zwei, drei Schluck genippt. Höchste Zeit, übers Joggen wenigstens zu reden.
Ist Joggen nicht uncool für einen Panik-Präsidenten?
Neee, Joggen kann sehr cool sein, Sonnenbrille auf, Kapuze auf und Kopfhörer drunter...
Was hörst Du?
AC/DC, Robert Schumann, Brahms, manchmal auch Lady Gaga, wie das produziert ist, wie das pumpt mit diesen supergeilen Sounds und Beats.
Als Udo und sein Interviewer dann um Mitternacht lostraben, ist der Tisch übersät mit einem Mikado aus abgebrannten Streichhölzern. Udo hatte viel zu erzählen, da ging an der Brasil immer wieder das Licht aus... Er trägt jetzt Hoodie und Streifen-Jeans und tarnt sich mit einem oliven Armee-Käppi – ohne Hut erkennt ihn im Dunkeln keiner mehr. Heine-Allee, Ehrenhof, Hofgarten. Im Trippel-Trab.
Eine Dreiviertelstunde später sind wir zurück, leicht transpirierend. Der Hotelportier guckt etwas kariert. Und Udo, gerade verschwunden, steckt noch einmal den Kopf durch die Tür: „War übrigens mein erstes Jogging-Interview“. Nicht schlecht, mit 69.