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Um es vorweg zu sagen: Kultverdächtige Sätze vom Schlage eines „Es kommt der Tag, da will die Säge sägen“ fallen im neuen Adolf-Winkelmann-Film „Junges Licht“ eher nicht. Die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Ralf Rothmann ist eher so etwas wie das nachgereichte Vorspiel zu Winkelmanns Revier-Trilogie „Die Abfahrer“ (1978), „Jede Menge Kohle“ (1981) und „Nordkurve“ (1992).
Während die Menschen dort mit Aberwitz und unerschütterlicher Coolness durch die Mondlandschaften und gesellschaftlichen Abgründe des niedergehenden Ruhrgebiets streiften, blickt man in „Junges Licht“ vom heimischen Balkon auf die Abgaswolkengebirge einer ebenso blühenden wie giftschillernden Landschaft aus Kohle- und Stahl-Giganten, als wäre es die natürlichste Sache der Welt. Aus dem Pathos, das die gewaltigen Bilder verströmen könnten, lässt die sparsam saitenpickende, gebremste, fast kleinkarierte Musik des Reviergewächses Tommy Finke frühzeitig die Luft heraus.
Es beginnt ohnehin in der Enge eines höchst Platzangst fördernden Flözes, unter Tage, zappenduster. Die Härte des Jobs mit Abbauhammer, Dreck und Hitze fängt Winkelmann genauso ein wie die Enge der Arbeiterwohnungen und Gemüter. Vater Collien (mit nonchalantem Ruhr-Zungenschlag: Charly Hübner) ist zuerst einmal Bergmann, dann Mann und schließlich auch Vater, hilflos, steif und ein bisschen stumpf. Die Farbbilder der Kamera von David Slama wechseln mitunter ins Schwarzweiß, aber das hat nicht viel zu bedeuten; es geht, wenn auch wenig subtil, um Stimmungswechsel.
Lieber nicht den Hund anzünden
Der Krieg ist gerade anderthalb Jahrzehnte her, die Zigarette allgegenwärtig und Gewalt noch ein probates Mittel der Erziehung. Lina Beckmann als Mutter Collien prügelt so lange mit dem Kochlöffel auf den 12-jährigen Sohn Julian ein, bis er zerbricht. Der Löffel, wohlgemerkt. Eine der anrührendsten Szenen des Films wird später zeigen, wie Julian der Mutter zum ersten und letzten Mal ein Prügelgerät aus der Hand ringt – und geht.
Dieser Julian ist die Zentralfigur, ganz wie in Rothmanns Roman, der eher als (ergiebiger) Steinbruch für das von Nils und Till Beckmann mit Adolf Winkelmann verfasste Drehbuch diente. Und Oscar Brose, der den Julian spielt, ist die Entdeckung dieses Films, von Winkelmann unter 3000 Bewerbern herausgesucht, herausgefunden. Julians Gesicht ist Seismograf und Spiegel des Alltags, der Gesellschaft ringsum. Der Junge in der klassisch kurzen Lederhose ist weniger verroht als alle um ihn herum, bis hin zu seinen Altersgenossen, in deren Bande er sich zwar gerne aufnehmen lassen würde – aber nicht um den Preis, einen Hund anzuzünden. Lieber rettet er ihn.
Julian ist feinfühlig, Julian kümmert sich um seine kleine Schwester. Und wenn dieser Julian auf die graugewaltigen Dunstlandschaften schaut, ahnt man, wie viel Staunen, Sinnen und Sehnsucht sein junges Herz bewegen. Allmählich dämmert ihm auch, was die frühreife Nachbarstochter Marusha umtreibt. Dass sie mit seinem Vater im Bett landet, markiert den Wendepunkt dieses mit Handlung eher sparsamen Films. Die Colliens fliegen aus der Wohnung und...
Es kommt nicht darauf an, was weiter passiert – Julian fängt in diesen wenigen Sommerwochen an, erwachsen zu werden. Und der Film malt mit liebevoll zusammengesuchten Requisiten und präzise agierenden Schauspielern ein authentisches Bild vom Revier und seinen Menschen in der Hochphase von Kohle und Stahl: von knorrigen bis skurrilen Typen wie dem pädophilen Hausbesitzer Gorny (Peter Lohmeyer) und seiner Frau (Nina Petri), von Randexistenzen wie der heruntergekommenen Hure Frau Morian (Caroline Peters) und dem Aufschneider und Gelegenheitskriminellen Lippek (Stephan Kampwirth). Und man muss nicht nostalgieselig sein, um am Ende mit dem Gefühl aus dem Kino zu kommen, einer mehr oder weniger untergegangenen Welt zugesehen zu haben.