Essen. . Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ begleiten die große Geigerin Anne-Sophie Mutter schon Jahrzehnte. In Essens Philharmonie sah und hörte man, was sich geändert hat.

Im letzten Jahrhundert blickte die staunende Welt auf eine erblühende Geigerin, die an der Seite eines berühmten Dirigenten nicht zuletzt mit Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ die Klassikszene erbeben ließ. Das ist lange her, und wie viel sich verändert hat, das konnten Auge und Ohr am Montagabend in Essens Philharmonie registrieren.

Denn kaum etwas an Anne-Sophie Mutter – 52 Jahre alt und somit im unglaublich wahren 40. Jahr ihres Bühnendaseins – lässt noch an das Mädchen an der Seite Karajans denken. An jene Dirigenten-Instanz, die der Großkritiker Joachim Kaiser zu Zeiten des Vivaldi-Projektes „hinkend und hinfällig“ nannte; wohl auch, um den größtmöglichen Gegensatz herauszukitzeln zu jenem als Ereignis gepriesenen Geigenwunder, das (wieder Kaiser) „blutjung prangte“ – in einem „wunderschönen Kleid“.

Barockperle in kleiner Besetzung

Aber halten wir uns nicht fest an Optik, obschon auch diese zu unterschlagen eine grobe Unhöflichkeit wäre. Wie Mutter, schulterfrei hier und bodenlang azurblau dort, inmitten ihres Orchesters Haltung einnimmt, da ist sie Dame und Königin. Nicht wenige im Publikum fragen, wie solche Schönheit in diesem Alter...? Wir entgegnen: Disziplin, Disziplin, Disziplin – und viel Sport.

Auch den Klangcharakter dieser „Vier Jahreszeiten“ können wir nicht beschreiben, ohne die Augen zu öffnen. Damals, 1984, umgaben fünf Dutzend Wiener Philharmoniker die junge Geigerin. Heute sind es ganze 14 (!) Musiker. Nie mehr, hat Mutter vor Jahren beteuert, würde sie die Barockperle einem „Flugzeugträger“ überlassen wie damals.

Das Ergebnis ist eine kammermusikalische Deutung, in der sich Essens philharmonische Architektur von ihrer besten Seite zeigt. Anne-Sophie Mutter spielt und dirigiert mit Mut zum Risiko. Das betrifft weniger ein längst gängiges straffes Tempo. Aber wie sie mit ihrem Piano die Stufe vor der Stille auskostet, um Fallhöhe zu schaffen für wuchtige Ausbrüche, ist dramaturgisch meisterlich ausgetüftelt. Und ausgeführt!: Selbst jene Triller, die dieses Hitparadenstück seriell bereithält, weiß die Musikerin noch mit ganz besonderer Delikatesse auszubilden.

Auf dem Podium mit jungen Künstlern

Die Musiker, „Mutters Virtuosi“, sind oder waren ihre Stipendiaten. Was für ein fabelhaft klingendes Zeugnis der Förderung! Und Mutter wäre nicht sie, entließe sie ein Kulinarik-Publikum aus der Verantwortung fürs Zeitgenössische. Das ist sanft, aber gut serviert: André Previns „Nonett“ eröffnete den Abend, der mit drei Zugaben endete – besonders beglückend: Bachs „Air“.