Essen. . Benjamin von Stuckrad-Barre erzählt in „Panikherz“ von seiner Drogensucht, seiner Bulimie – und wie Udo Lindenberg ihn gerettet hat.

Das ist natürlich eine dieser ironischen Schicksalwendungen, an denen ein guter Journalist nicht vorbei kann: Junger Mann sucht den Glamour, das Licht, steigt immer höher hinauf, verbrennt sich, fällt tief – und wird aufgefangen ausgerechnet von einer dieser irrlichternden Lichtgestalten, deren rauschhaftes Leben er so eifrig zu kopieren suchte. Benjamin von Stuckrad-Barre ist ein guter Journalist. Und er nimmt die Story mit. Um den Preis der Selbstentblößung.

„Panikherz“ heißt die Autobiografie des 41-Jährigen (Kiepenheuer & Witsch, 576 S., 22,99 €). 41 ist ja ein super Alter für eine Autobiografie, das ist kurz vor dem Sinn des Lebens – der, nach Douglas Adams, „42“ lautet. Der hochkomische Wendepunkt dieser Biografie geht so: „Ich, völlig hinüber, drogenabhängig und im Volldelirium, wurde von, jetzt kommt der Gag, Udo Lindenberg an der Hand genommen und zum Arzt gebracht, ausgerechnet von Udo, der ja einigermaßen zu Recht den Ruf hatte, seit etwa 20 Jahren durchgängig nicht ganz nüchtern zu sein.“ Udo nimmt „Stuckimann“ auf in die Panikfamilie, setzt ihn in den Flieger nach Los Angeles: „Die Sonne abholen, bisschen Licht und so, andere Gedanken, hm?“ Im Hotel Chateau Marmont in West Hollywood schreibt Stuckrad-Barre seine Memoiren; zwischendurch trifft er öfter mal Bret Easton Ellis, sein Idol – denn der ist noch cooler, kaltschnäuziger als er selbst.

„Panikherz“ lässt ebenfalls frieren. Stuckrad-Barres Udo-Begeisterung, die früh begann, dann strauchelte, in einem Verriss für den „Rolling Stone“ ihren Tiefpunkt fand, plötzlich neu entflammte – diese Begeistertung zieht sich durch das Werk als Heldengeschichte: komisch, tröstlich, liebevoll. An so eine Freundschaft möchte man glauben.

Zugleich aber robbt sich diese Autorenfigur irritierend oft an die Größen des Business heran. Das beginnt, als der Pastorensohn und Göttinger Stadtmagazinschreiber zur Abifeier eine befreundete Band zum Schulhofkonzert überredet, Honorar: paar Kisten Bier. Geht weiter mit Friedrich Küppersbusch und Harald Schmidt (beides dann Arbeitgeber) und macht nicht Halt vor Westernhagen oder Helmut Dietl – oder Christoph Schlingensief, der zwar kein Kumpel ist, sich aber mal über Lärm beschwert hat, den Stuckimann mit Berliner Nachtschwärmern veranstaltete. Und stets versteht es der Aufsteiger, die Kontakte zu nutzen. So erfahren wir, dass „Soloalbum“ geschrieben wurde, weil Küppersbusch einen Verlagsvertrag nicht erfüllen mochte. Stuckrad-Barre stellte der Lektorin ein anderes Projekt vor, sein eigenes „nennen wir es doch – ROMAN?“

Nennen wir es doch – GROSSMANNSSUCHT? Die Genese eines der Hauptwerke des deutschen Pop-Wunders wäre lustig, leider folgen dieser Sucht weitere. „Das Selbstbild, das öffentliche Bild, nun geriet alles ein bisschen durcheinander“, die erste Lesereise steht unter dem Motto: „Hundert Prozent Leseauslastung, ein Prozent Fett – das ist das Glück.“

Bulimie hat gegenüber Magersucht den Vorteil, dass man Essen darf. Gar nicht hungrig wird, wer Kokain nimmt.

Der Absturz ist vollkommen. Grelle Nächte und irgendwie putzige Klinik-Aufenthalte, Rückfälle, Wohnortwechsel, zuletzt strandet Stuckrad-Barre pleite in Hamburg, er wohnt im Hotel (wie Udo) und lässt die Rechnung an seinen Vater schicken: eine hinreißende Erzählung von einem, der fällt. Und in Udos „Panikfamilie“ wieder zu sich selbst findet.

Am Ende aber wird nicht ganz klar, wer dieses selbst eigentlich ist. Und warum der Autor sich derart entblößt. „Panikherz“ hat keine Pointe, kein kitschiges Fernsehspiel-Ende. Der Text macht einfach so weiter, wie Stuckrad-Barre einmal angefangen hat, kommt daher als Strudel aus Zitaten und Akteuren der Popkultur. Immerhin ein Strudel, der Leser nicht umgehend in den Drogensumpf zieht. Denn dies hat Udo Stuckimann denn doch gelehrt: Jede Sucht macht spießig, „wenn wir Spießertum definieren als eine totale, zwanghafte Regelmäßigkeit“ – ein Leben im Rhythmus des Fressens, Saufens oder Koksens. „Dann lebt also ein Junkie ein vollendetes Spießerleben.“ Rebell geht anders. Nur: wie?