Dortmund. . Wie sehr sich der Einsatz für Neue Musik lohnen kann, bewies jetzt die „Zeitinsel“ im Dortmunder Konzerthaus: Sensationelles Niveau.
Das Beste kommt zum Schluss. Ein Musikdrama, das uns wie ein Strudel verschlingt. Mit erstklassigen Sängern, die vor keiner emotionalen Entäußerung zurückschrecken. „Written on skin“ (auf die Haut geschrieben) – George Benjamins Oper entpuppt sich als ein Stück gleißender Hysterie, als Schwester der „Elektra“ oder des „Wozzeck“. Die Aufführung im Konzerthaus Dortmund ist eine Herausforderung fürs Publikum – und wird mit Jubel belohnt.
Der Brite steht selbst am Pult des höchst intensiv spielenden Mahler Chamber Orchestra, dirigiert mit körperlichem Understatement, gleichwohl ungeheuer präzise. Er ist Vertreter einer neuen Musik, deren stetiger Fluss uns bannt, weil nichts dahinplätschert. Zuweilen rütteln eruptive Klangballungen auf, immer fasziniert die Vielfalt instrumentaler Farben. „Written on skin“ war Höhepunkt der dreitägigen Zeitinsel, die das Konzerthaus dem Komponisten gewidmet hat.
Charakterstarke Farben
Benjamin ist ein Musiker, der viel schreibt und ebenso viel verwirft. Seine Skizzenblätter übertreffen deutlich das gedruckte Werk. Etwa 40 Kompositionen in 40 Jahren sprechen die Sprache eines äußerst skrupulösen Künstlers. „Written on skin“ entstand 2012, sechs Jahre nach seiner ersten Oper, „Into the little hill“, eine moderne Fassung des „Rattenfängers von Hameln“; sie war ebenfalls im Konzerthaus zu erleben.
Für Benjamin gilt aber auch das akribische Bemühen um die Weiterentwicklung seiner Mittel. Für „Written on skin“ etwa setzt er als charakterstarke Farbe eine Kontrabassklarinette ein, mischt Harfen- und Banjoklang, verweist mit einer Glasharmonika in sphärische Weiten, blickt mit einer Viola da Gamba auf alte Zeiten.
Denn die Geschichte, die hier verhandelt wird, fußt auf einer Sage des 13. Jahrhunderts. Ein Maler soll all die Herrlichkeit eines hohen Herrn aufs Papier bannen. Der Künstler verführt die Frau des Hauses, der gekränkte Gatte reißt dem Nebenbuhler das Herz heraus und zwingt seine Frau es zu essen. Die stürzt sich aus dem Fenster.
Archaischer Stoff
Ein archaischer Stoff, den Benjamin und Librettist Martin Crimp in die Moderne überführen. Drei zynische Engel schaffen eine brutale Welt, der Herr gilt als „Beschützer“ seiner Frau Agnés. Deren Zorn, Trotz, Widerstand und Betrug wird durch die Verführungskraft des Malers genährt. Benjamin hat die Rolle mit einem Counter besetzt, und wenn sich die Stimme Tim Meads mit dem Wundersopran Barbara Hannigans vereint, ist das emotionale Zentrum der Oper erreicht.
Ausdrucksstark singt Christopher Purves den „Beschützer“ seiner Frau, und die ungeheuer starke Mimik aller Beteiligten trägt das ihrige dazu bei, uns auf die Stuhlkante zu treiben. So hat diese Zeitinsel packende Musik beschert – und zudem manches aus dem Nähkästchen des Komponisten.